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Als Forum für einen fach- und institutionsübergreifenden Dialog versteht sich das Netzwerk Baukultur Baden-Württemberg, dem auch die Architektenkammer angehört. Am 6. März 2017 fand seine Konferenz "Wohnen. Leben. Heimat bauen." im Haus der Wirtschaft statt.
Drei Mal hat Kopenhagen schon den Titel "Lebenswerteste Stadt der Welt" errungen - als Vordenker für deren modellhafte Umgestaltung gilt Prof. Dr. Jan Gehl. Was sich dem Menschen auf Augenhöhe bietet, welche Sicht der Nutzer hat, ist für den Architekten und Stadtplaner entscheidend. Er hat Kriterien aufgestellt, nach denen sich die Qualität des öffentlichen Raums berechnen lässt: zwölf an der Zahl. Unterteilt in die Hauptgruppen Schutz, Behaglichkeit und Genuss befragt der Architekt und Stadtplaner Plätze nach ihrer Übersichtlichkeit und einer guten Beleuchtung, nach interessanten Gebäudefassaden und Möglichkeiten zum Ausruhen, nach einem tiefen Geräuschpegel und anderem mehr. Der Piazza del Campo in Siena bekäme nach diesem Klassifizierungsmuster zwölf Häkchen, hier funktioniere alles und biete damit maximale Identität, erklärte der Keynotespeaker bei der jüngsten Netzwerkkonferenz Baukultur Baden-Württemberg. Andere Plätze gingen nach diesem Kriterienkatalog ganz leer aus. Wie wenn Vögel am Himmel fliegen und ab und zu ein Hochhaus ausscheiden, dieser Vergleich dränge sich ihm auf, wenn er die "Vogelkot-Architektur" von Dubai oder Moskauer Vorstädten sehe. Ohnehin seien Wolkenkratzer immer ein Problem, stellte der Däne fest: "Sie werfen viel Schatten und erzeugen Fallwinde." Schon ab dem 5. Stockwerk befände sich der Bewohner im Bereich des Luftverkehrs und sei nicht mehr Teil der Stadt. Gehl votierte für Dichte statt Höhe. Und wenn schon Höhe, dann wenigstens im Hintergrund.
Er erinnerte daran, dass sich die Größe des homo sapiens in den letzten Jahrhunderten nicht geändert hat, auch seine Gehgeschwindigkeit liegt gleichbleibend bei durchschnittlich fünf Stundenkilometern: ein Tempo, das in Venedig vorherrscht. Nicht menschengemäß sei jedoch die Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 km/h in der autogerechten Stadt. Die Autoinvasion und die Architekturmoderne machte der emeritierte Professor als die großen Negativfaktoren in den zurückliegenden Entwicklungen fest und geißelt die Planungsgegenwart: Die Modelle sähen immer noch aus wie vor 50 Jahren. Auch habe man in dieser Zeitspanne alles dafür getan, dass die Leute so viel wie möglich - äußerst ungesund - sitzen. Ihm geht es darum, die Menschen in Bewegung zu setzen: zu Fuß oder mit dem Fahrrad.
Der Autor zahlreicher Bücher appellierte, sich mehr auf die Gesellschaft, auf das Gesellige zu konzentrieren und weniger auf das Private. Dass man immer erst die Wohnung verlassen muss, um jemanden zu treffen, beklagte Gehl. Er empfahl, grundsätzlich kleinmaßstäblicher zu bauen als man denkt, und erinnerte dabei an WG-Partys, wo es in der überfüllten Küche am attraktivsten war.
Der Mensch und seine Wahrnehmung sind auch für Prof. Dr. Ingrid Breckner ein Schlüsselkriterium. Die Soziologin lehrt Methoden der Stadtplanung. Als Teilnehmerin der ersten Podiumsdiskussion bemängelte sie bei den Studierenden ein grundlegendes Defizit: Sie müssten zuallererst "lernen zu sehen, riechen, tasten". Ihr gehe es darum, dass sie aus der eigenen Wahrnehmung heraus als lebende Wesen planen. Nicht von ungefähr war mit Prof. Dr. Erol Yildiz noch ein zweiter Soziologe auf dem Podium, denn es herrschte Konsens, dass nur mit Interdisziplinarität auf die komplexen Ansprüchen im Planungsprozess angemessen zu antworten ist. Dies unterstrich auch Markus Müller: Die Zukunft liege darin, miteinander zu sprechen, so wie sich auch in der Wohnraum-Allianz des Landes die unterschiedlichen Fachbereiche zusammengefunden haben. Der Kammerpräsident verwies auf die Stuttgarter Architekturfakultät, in der die Soziologie schon lange ihren angestammten Platz hat. Dazu sei der Landeshauptstadt zu gratulieren, denn etwas Ähnliches finde sich ihres Wissens im ganzen Bundesgebiet nicht, merkte Breckner hier an.
Ums "Wohnen. Leben. Heimat bauen." ging die mit viel Fachkenntnis von Frauke Burgdorff moderierte Netzwerkkonferenz. Von einer repräsentativen Umfrage zu diesem Themenfeld berichtete die stellvertretende Vorsitzende der Bundesstiftung Baukultur Dr. Anne Schmedding: Auch wenn dabei herauskam, dass über 80 Prozent der Menschen mit ihrem Umfeld zufrieden sind, dürfe man sich nicht zurücklehnen, seien doch alle Räume stetigen Änderungsprozessen unterworfen, die es zu begleiten gilt.
Änderungen begleiten, Neues schaffen - letzteres sei um einiges schwieriger als ersteres, betonte Gudrun Heute-Bluhm. "Wir haben gelernt, dass gewisse räumliche Situationen anfällig für Stress sind", sagte das geschäftsführende Vorstandsmitglied des Städtetags Baden-Württemberg und führte als Beispiel Hochhausquartiere an. Verbesserungen habe man dort mit gestalterischen Qualitäten wie mehr Licht und Luft erzielt, aber auch mit sozialer Betreuung. Doch könne man solche Prozesse nicht einfach auf neue Quartiere übertragen. Etwas aus der Not heraus zu verändern sei für Kommunen eine klarere Fragestellung als Konfliktpunkte vorauszuahnen.
Diese Idee fand sich auch in den Nachmittagsdiskussionen wieder, deren Aufhänger best-practice-Beispiele für den öffentlichen Raum und für Quartiere, für Bauherrengemeinschaften, genossenschaftliches Bauen und Beteiligungsprozesse waren:
Viel einfacher lassen sich Partizipationen durchführen, wenn man auch etwas selbst ausprobieren kann, z.B. bei einer Skateranlage. Bei neuen Wohnbauprojekten ist das natürlich nicht möglich. Als "Informationshälfte" verstandene Beteiligungen verdienen diesen Namen nicht. Auch darf man nicht gleich die Flinte ins Korn werfen, wenn die Bürgerschaft nicht umgehend darauf eingeht. Partizipation muss kulturell gelernt sein, Vorurteile wie "Die machen ja eh was sie wollen" gilt es mit Beharrlichkeit zu widerlegen. Konsequent zu Ende gedacht, kann solch eine Beteiligung, bei der die Beteiligten ihren Willen letztlich durchsetzen, auch dazu führen "hässlich zu bauen". Ein Architekt berichtete davon, dass er sich die Einwilligung dazu im Vorfeld schriftlich eingeholt hat.
Einig war man sich, dass das Ziel durchmischte Quartiere sind. Einig war man sich auch über die Bedeutung des - als öffentlichen Raum zu nutzenden - Erdgeschosses, in der "die Stadt passieren muss." Doch gingen die Vorschläge darüber hinaus: Sei es eine Bel Étage, die über einen Innenhof auf Geschosshöhe des ersten Stocks zu erreichen ist, sei es eine Mehrfachnutzung von Gebäuden als Vorlesungsort tagsüber und abends als Theater. Von "Bonuskubatur" war die Rede, von Fläche und Raum, die über das Minimalprogramm hinausgehen und dezidiert einen Mehrwert für die Gemeinschaft bringen. Im Zusammenhang damit beantwortete sich auch die Frage, wer dafür zuständig ist, die Stadt zu bauen: "die neuen Produzenten".
Der aus der Psychologie stammenden Begriff "Selbstwirksamkeits-Überzeugung" (Menschen beginnen eine Handlung nur dann, wenn sie überzeugt sind, dass sie sie auch tatsächlich erfolgreich ausführen können) schloss sich an die Überlegungen zur Partizipation an, schlug aber auch den Bogen zum interdisziplinären Zusammenarbeiten, zu dem Ministerialdirigentin Kristien Keßler abschließend eindringlich aufrief: die große Stärke liege in der Vernetzung und in dem gemeinsamen Engagement. Damit nahm sie auch den eingangs geäußerten Gedanken von Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut auf: "Baukultur ist praktizierte Verantwortung für die Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten von Mensch und Gesellschaft, von Kommunen und dem Land."
24 Objekte hatte die Jury nominiert, aus denen sie letztlich sieben Preisträger auswählte. Darüber hinaus vergab sie einen Sonderpreis.