Informationen rund ums Bauen mit Architektinnen und Architekten.
Die Welt ist komplex und es war naiv, Antworten zu erwarten auf die Frage von Architekturbiennale-Kurator Hashim Sarkis, wie wir künftig zusammenleben. Der Rundgang durch die Pavillons in den Giardini sowie auf dem weitläufigen Areal des Arsenale bietet ein buntes und vielfältiges Potpourri aus Ideen, Bestandsaufnahmen und weiteren Fragen zum Biennale-Motto „How will we live together?“
Im spanischen Pavillon zum Beispiel: „Können wir unsere individuellen Unsicherheiten in funktionierende kollektive Lösungen ausloten?“ Belgien zeigt Modelle im Maßstab 1:15 und fragt: „Wie gestalten wir gemeinsam eine Stadt?“ Und im niederländischen Pavillon steht die Frage „Wer sind wir?“ im Raum. „Das Projekt hinterfragt dominante Narrative und urbane Strukturen, indem es sie mit einem weiblichen, indigenen, farbigen, queeren und multispeziesischen Urbanismus konfrontiert,“ informieren die Kuratorinnen.
Finnlands Beitrag ist „New Standards“ überschrieben, wirft einen Blick zurück auf den frühen Fertighausbau für vertriebene Landsleute. So einfach geht Bauen in Holz. Um Holzbauten geht es auch im amerikanischen Pavillon, deutlich sichtbar bereits durch die Fassade. Im Inneren werden diverse Modelle von unterschiedlichen Holzskelettbauten ausgestellt. Im Pavillon der nordischen Länder hingegen ist das Interior aus Holz, ein innovatives Open-Source-Massivholzbausystem, das leicht lokal produziert werden könne und für den Selbstbau geeignet sei, heißt es in der Presseinformation. „What we share“ – das nordische Cohousing-Modell, bereits in den späten 1960er Jahren entwickelt – kombiniert individuelle Wohneinheiten mit Gemeinschaftseinrichtungen. Der Beitrag soll das Potenzial bewusst machen, das dieses Wohnmodell in Bezug auf die Bewältigung der gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen, mit denen wir heute konfrontiert sind, beitragen kann.
Frankreich wirft einen kritischen Blick auf die Art und Weise unseres Zusammenlebens heute und zeigt Fallstudien aus Europa, Asien, Amerika und Afrika. Die verschiedenen Ansätze bezeugen die langsamen und vielfältigen Umwandlungen von Lebensräumen durch ihre Bewohner. Gemeinschaften scheinen die relevantesten Ressourcen zu sein, um gelebte Umgebungen zu transformieren und dadurch neue Wege der Betrachtung von „räumlichen“ Verträgen mit einem Bottom-up-Ansatz zu schaffen, meint der französische Kurator mit Blick auf die Biennale-Frage und der Notwendigkeit eines neuen Raumvertrags. Im Kontext zunehmender politischer Spannungen und wachsender wirtschaftlicher Ungleichheiten hatte der Kurator der 17. Internationalen Architekturbiennale, Hashim Sarkis, Architektinnen und Architekten aufgefordert, sich Räume vorzustellen, in denen wir großzügig zusammenleben können – als Menschen, in neuen Haushaltsformen, als aufstrebende Gemeinschaften, über politische Grenzen hinweg, gemeinsam als Planet, der sich Krisen gegenübersieht, die globales Handeln erfordern, damit wir alle überhaupt weiterleben können.
Entsprechend werden auch die ökologischen Aspekte thematisiert: im dänischen Pavillon der Umgang mit Wasser, im israelischen die Ausbeutung des Bodens mit irreparablen Schäden an natürlichen Lebensräumen für Tiere sowie Fauna und Flora. Ungarn widmet sich dem gebauten sozialistischen Erbe und sucht nach Sanierungslösungen. Ego to Eco – so titelt ein Beitrag im Arsenale und darunter ist zu lesen: „Da die Menschheit mit der drohenden Gefahr des Klimawandels, dem Verlust von Lebensraum und der Erschöpfung der natürlichen Ressourcen vor ihrer bisher größten Herausforderung steht, müssen wir die Art und Weise, wie wir auf diesem Planeten zusammenleben, neu überdenken …“ Ein großes Modell zeigt verschiedene Ideen für das Wohnen und Bauen, für die Produktion, den Konsum und die Revitalisierung der Ökosysteme. Dazwischen sind 1200 Baumspitzen zu sehen, die nach der Biennale in Dänemark im Rahmen eines städtischen Aufforstungsprogramms über die nächsten 50 Jahre mehr als 1000 Tonnen CO2 absorbieren sollen. Diese Idee ist gut, aber ist das insgesamt eine neue Erkenntnis?
Neue Baustoffe sind auf der Biennale zu sehen: Das Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD) und das Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE) der Universität Stuttgart und ihre Professoren Achim Menges und Jan Knippers präsentieren eine zweigeschossige, begehbare Skulptur in Faserverbundbauweise. Diese Fasern aus Glas, Carbon und Harz sollen irgendwann für mehrgeschossiges Bauen einsetzbar sein. Das in Dubai ansässige Architektenduo Wael Al Awar und Kenichi Teramoto nutzen Sole, die bei der Süßwassergewinnung für die Vereinigten Arabischen Emirate übrigbleibt, und entwickeln daraus einen Zementersatz. Schon bald soll ein eingeschossiges Gebäude damit gebaut werden.In vielen Beiträgen werden die Datenwelt und digitale Plattformen thematisiert, zum Beispiel der österreichische: „Seit der Pandemie wissen wir, wie viele Aspekte unseres Alltags – arbeiten, lernen, einkaufen, sich treffen und austauschen – ohne Plattformen nicht mehr denkbar sind. Diese ändern aber nicht nur die Art und Weise, wie wir leben, sondern nehmen auch maßgeblich Einfluss auf die Gestalt unserer Städte. Gewachsene städtische Strukturen, öffentliche Einrichtungen und gewohnte Formen sozialer Organisation geraten zunehmend unter Druck. Die wichtigste Ressource von Plattformen ist unsere Beteiligung.“ Die österreichischen Kuratoren nutzen diesen Umstand und reklamieren das Recht auf Mitsprache bei den Rahmenbedingungen künftiger Entwicklungen.
Wenn man von dem Beitrag im Arsenale von Skidmore, Owings & Merrill in Zusammenarbeit mit der European Space Agency zum Leben jenseits der Erde absieht, ist der deutsche Beitrag der weitreichendste, denn er kommentiert aus dem Jahr 2038 das Hier und Jetzt und erklärt die neue Gelassenheit der Menschen in etwa 20 Jahren. Es hat sich herumgesprochen, dass der Pavillon leer ist und nur QR-Codes an den Wänden zeigt, die zu Filmen führen. „Irgendwann haben wir erkannt, dass Nachhaltigkeit eigentlich nur den Status Quo optimiert und somit nie zu einer systematischen Veränderung führt,“ erzählen die Volkswirtschaftlerin Sabine Oberhuber und der Architekt Thomas Rau. Kreislaufwirtschaft hingegen optimiere kein dysfunktionales System, sondern gestalte ein neues entlang einer Verantwortungsachse. Diese Botschaft und die anderen aus 2038 versöhnen ein wenig mit dieser Biennale und stimmen optimistisch. Doch die Videos habe ich mir daheim angeschaut – nicht im deutschen Pavillon.
Unsere Städte sind gebaut und werden in 20 Jahren nicht viel anders ausschauen. Wie gehen wir mit unseren Beständen um? Wie bauen wir unsere Städte klimaangepasst und für eine sich in stetiger Veränderung befindliche Gesellschaft weiter? Wie entwickeln sich Kommunen im ländlichen Raum? Die Bestandsanalysen dominieren auf dieser Biennale, die Lösungsansätze hingegen bleiben häufig in utopisch akademischen Vorschlägen stecken oder bleiben aus. Die vielen künstlerischen Installationen helfen da auch nicht weiter, machen die Show nur bunt bis grell. Die inhaltliche Auseinandersetzung verliert sich oftmals in entweder bekannten Phrasen oder kaum zu verstehenden Aussagen. Die Fragestellung „How will we live together?“ ist gut und richtig. Der Pandemie geschuldet ist die Architekturbiennale aber offensichtlich an einem Punkt angekommen, an dem dieses Format für eine globale Perspektive auf die räumliche Gestaltung unserer Umwelt und unser gesellschaftliches Miteinander an Grenzen stößt.
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