Schmales Haus in der Altstadt
Schulstraße 15
88069 Tettnang
Andrea Rehm Architektur, Freie Architektin, Tettnang
Ulrike Schühle, Tettnang
2014
Eine Familie aus Tettnang war auf der Suche nach einem besonderen Entwurf für ihr außergewöhnlich schmales Grundstück mitten in der historischen Altstadt von Tettnang. Dafür investierten sie in eine erste Ideenfindung und fragten bei drei Architekturbüros an. Mit Handskizzen wurde die Entwurfsidee präsentiert, mit offenen Ebenen und hohen Raumteilen Licht in die schmale Schlucht zu bringen, "aus der Not eine Tugend zu machen", d. h. die besondere Lage erlebbar zu machen, sie teilweise zu inszenieren. Das gefiel der Bauherrschaft sofort.
Entwurf
Das Wohnhaus ist 4,88 m breit, 15,78 m lang, viergeschossig und hat eine Wohnfläche von 198 m². Mit offenen Ebenen und Durchblicken in die Geschosse darüber und darunter, wird trotz der enormen Schmalheit der Grundrisse viel Licht und Großzügigkeit in das Gebäude gebracht. Durch den hohen Luftraum der Küche auf der Hofseite, der in den Wohnbereich übergeht, wird das Licht weit ins Innere des Hauses gelenkt.
Durchblicke in die oberen Geschosse, bzw. in den zweigeschossigen Erdgeschossteil geben dem Wohnbereich darüber als Galeriegeschoss eine Spannung zwischen Begegnungs- und Rückzugsbereich. Im zweiten Stockwerk folgt für die Kinder ihr Bereich mit zwei spiegelbildlich angeordneten Kinderzimmern und einem separaten Kinderbad. Dazwischen führt eine in einen Schrank integrierte Treppe in das Elterngeschoss nach oben. Nach Norden sind dem großzügigen Elternschlafzimmer eine begehbare Ankleide und das Badezimmer angegliedert; nach Süden ist die Dachterrasse vorgelagert, die einen herrlichen Blick auf den Säntis und den Bodensee bietet.
Die Haustrennwand auf der Treppenseite wird in ihrer Höhe und Länge nicht kaschiert, sondern durch die Konstruktion der Treppen in den Fokus gerückt. Zwei hintereinander liegende einläufige Treppen aus Kragstufen, lassen den Blick über drei Geschosse nach oben oder von den Flurbereichen in das jeweils untere und obere Geschoss wandern. Entlang dieser Wand ist der Blick in einer Flucht frei, von Eingang Hof bis Eingang Schulstraße.
Auf allen Ebenen finden sich Einbaumöbel nach präziser Maßanfertigung; glatte, klare Fronten, die elegant und unauffällig, ohne Griffe zunächst als Wandfläche erlebt werden und die den Grundrissen Großzügigkeit geben. Die Architektursprache ist minimalistisch, gemäß dem Wunsch der Bauherrschaft. Die gläsernen Wand- und Türscheiben lassen durch ihre transparente, kühle Materialität das Eichenholz des Fußbodens und der Treppe seinen natürlichen warmen Charakter entfalten.
Das Gebäude ist bewusst mit formaler Zurückhaltung in die Häuserzeile der Schulstraße eingepasst. Die Zweigeschossigkeit des Wohnbereiches ist zur Rückseite klar nach außen dargestellt. Die Enge und Schmalheit des Grundstücks, die räumlichen Zwänge, charakterisieren den Ort und machten aus der Bauaufgabe eine Besonderheit, aber auch eine Herausforderung. Denn es sollte ein Haus für eine Familie mit 2 Kindern werden. Raum für Familienleben und Rückzugsmöglichkeiten, verteilt über vier Geschosse, sind mit dieser Entwurfsidee nahezu spielend und wie selbstverständlich entstanden.
Besondere Baustellensituation
Ohne große Änderungen des Entwurfs wurde schnell die Genehmigungsplanung angestrebt und fünf Monate später war bereits Baubeginn. Die Planungsphase war sehr intensiv, aber kurz und effizient. Die Bearbeitung erfolgte durch alle Leistungsphasen aus einer Hand, von der ersten Idee bis zur Übergabe des Neubaus. Zunächst musste das bestehende, baufällige Gebäude abgebrochen werden. Es entstand eine sehr hohe und schmale 'Schlucht' zwischen den Nachbargebäuden. Für den Rohbauunternehmer und den Zimmermann war es eine Herausforderung, in dieser beengten Situation mit dem Kran beizukommen und die Bauteile passgenau einzubringen, da die zum Teil 200 Jahre alten Nachbarwände teils schräg standen, teils große Vor- und Rücksprünge hatten. Alles klappte bestens. Die gesamte Bauzeit betrug 7,5 Monate.
Energetisches Konzept
Die größten Außenflächen des Neubaus, nämlich die sich über vier Geschosse erstreckenden seitlichen Trennwände, grenzen an die Nachbarwände. Dadurch wird das Energetische Konzept des Gebäudes entscheidend positiv beeinflusst. Die gesamte technische Ausrüstung mit moderner Gas-Brennwerttechnik und Fußbodenheizung kombiniert mit einer kontrollierten Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung, sowie ein Aufdach-Solarsystem zur Warm- und Heizwasseraufbereitung sind als nachhaltiges und durchdachtes Konzept ausgeführt worden. Als KfW-70-Haus hat das Gebäude einen Endenergiebedarf von 26,5 kWh/(m²a).