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In Stuttgart wird wieder die Abrissbirne geschwungen: An Prag- und Daimlerstraße werden ortsbildprägende Wohnhäuser beseitigt und mit dem "Wangener Tor", das einst von Jugendlichen im Selbstbau errichtet wurde, ist ein kleines Wahrzeichen des Stuttgarter Ostens verschwunden. Thomas Herrmann, Sprecher der FÜNF Stuttgarter Kammergruppen, nimmt im Gespräch mit Simone Groß, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit Stellung zu den Entwicklungen und fordert mehr Respekt für die bestehende Bausubstanz und einen wertschätzenden Umgang mit ihr.
2016 fasste Thomas Herrmann in einem Gastbeitrag für die Stuttgarter Zeitung schon einmal seine Gedanken zum Thema Abrisse und Baukultur in Stuttgart zusammen. Damals war eine von Roland Ostertag angestoßene Debatte in der Öffentlichkeit und Fachöffentlichkeit zu diesem Thema entbrannt. Ostertag hatte stets einen Blick darauf, wie Stuttgart sich zu seiner Vergangenheit verhielt und engagierte sich für eine Vielzahl von Projekten: Ob Bosch-Areal, Hotel Silber oder Altes Schauspielhaus – ohne Ostertags Einsatz gäbe es all diese Orte heute nicht oder nicht mehr.
Was hat sich seit 2016 verändert?TH: In den vergangenen sechs Jahren ist das Verständnis für den Erhalt der vorhandenen Bausubstanz innerhalb der Gesellschaft gewachsen. Das Thema Graue Energie ist in aller Munde. Die IBA' 27 hat sich die Themen ressourcenschonendes und nachhaltiges Bauen auf die Fahne geschrieben. Dieser Aspekt war in der Debatte 2016 noch kaum relevant. Umso erstaunlicher ist es, dass diese Entwicklung offenbar wenig Einfluss auf das tatsächliche Geschehen in Stuttgart hat. Dass private Investoren ihre Schwierigkeiten mit dem Erhalt von vorhandener Bausubstanz haben, mag aus der Logik der Ökonomie erklärbar sein. Aber dass die Stadtverwaltung die Brisanz des Themas offenbar noch nicht erkannt hat, ist mir unverständlich.
Bauen im Bestand ist heute DAS große Thema. Stuttgart tut sich teilweise schwer damit.TH: Es gibt da eine eigenartige Ambivalenz: Einerseits ist es dem Planungsamt mit geschicktem Einsatz des Baurechts schon mehrfach gelungen, private Investoren von ihren Abrissplänen abzubringen. So konnten beispielsweise Teile der alten EnBW-Zentrale in der Kronenstraße erhalten werden, weil das geltende Baurecht bei einem Neubau deutlich weniger Nutzfläche zugelassen hätte. Das Hofbräu-Eck am oberen Ende der Königsstraße wurde auf ähnliche Weise gerettet. Auch die LBBW will ihre Gebäude in der Königstraße 1-3 weitgehend erhalten. Andererseits ist die Stadt selbst kein Vorbild und reißt Gebäude, die in ihrem eigenen Besitz sind, ohne Rücksprache mit politischen Gremien ab.
Ich kenne viele engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit großem Problembewusstsein auf allen Verwaltungsebenen und in den städtischen Tochtergesellschaften. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass Teile der Verwaltung nicht in ihrer Routine gestört werden wollen. Viel zu oft wird auf Anregungen der Bürger, der Fachöffentlichkeit und sogar der politischen Gremien mit reflexhafter Ablehnung reagiert. Ich vermisse bei manchen Akteuren einen liebevollen Blick auf Stuttgart, der verborgene und verschüttete Qualitäten erkennt und der die Ideen früherer Architektengenerationen wertschätzt. Das Wangener Tor ist das beste Beispiel dafür. Dieses kleine Wahrzeichen zauberte allen, die es in seiner eher tristen Umgebung zum ersten Mal erblickten, ein Lächeln ins Gesicht. Dass man es jetzt als „nutzloses Bauwerk“ abgerissen hat, zeigt für mich den mangelnden Respekt vor dem, was an Bausubstanz in Stuttgart da ist. Vielleicht bräuchte es einfach mehr Liebe zu unserer Stadt!
Weniger Abrisse, mehr qualitätvolles Bauen - wie kann das gelingen? TH: Baukultur ist immer auch Dialogkultur - diese muss innerhalb der Verwaltung beginnen. Damit ist nicht gemeint, ein Projekt zu zerreden bis nichts mehr davon übrig ist, sondern bereit zu sein, sich gegenseitig zuzuhören und voneinander zu lernen. Das Engagement anderer nicht nur zu respektieren, sondern sich darüber zu freuen und zugleich seine eigenen Ideen und Visionen engagiert zu vertreten. In so einer Dialogkultur entsteht qualitätvolles Bauen. Wir sind als Architekten nicht diejenigen, die das Bauen verhindern wollen – ganz im Gegenteil: Wir wollen bauen. Aber mit Respekt vor den Leistungen unserer Vorgänger. Wir wünschen uns ja auch, dass unsere eigenen Leistungen und Gedanken später wertgeschätzt werden und nicht alles gleich wieder verworfen und abgerissen wird.
Wie könnte ein sinnvoller Umgang mit der vorhandenen Bausubstanz aussehen?TH: Mir fehlt aktuell ein wohlverstandener Pragmatismus, der auch mal die Dinge nutzt, wie sie sind und Zwischennutzungen ermöglicht. Gerade beim Thema günstiger Wohnraum geht es darum, mit Minimalmitteln etwas zu erreichen. Es muss nicht immer gleich die große Modernisierungsmaschinerie angeworfen werden. Günstiger Wohnraum entsteht, wenn man möglichst viel vom Bestehenden erhält, statt alles abzureißen was nicht dem neuesten Stand entspricht. Ich plädiere für ein vielschichtigeres und kleinteiligeres Denken beim Umgang mit dem Bestand, das vom einzelnen Objekt ausgeht, von den Besonderheiten des Ortes, den vorhandenen Ressourcen und den künftigen Bedürfnissen der Nutzer. Es gibt städtische Projekte, bei denen das gelungen ist. Ich denke da an die Wagenhallen, an das Hotel Silber - tolle Projekte, die zu Recht mit Preisen ausgezeichnet wurden. Sowas muss Alltag werden! Dafür ist ein anderer Blick auf die Substanz notwendig. Die Wertschätzung muss den materiellen Ressourcen ebenso gelten wie den geistigen Leistungen unserer Vorgänger und der Identität der Stadt. Wenn dieses Denken im Alltag angekommen ist, wird sorgfältiger mit dem Vorhandenen umgegangen und nicht mehr so schnell abgerissen.
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