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Wie weiter bauen? Zum zweiten Mal widmete sich ein Architekturgespräch – das letzte in diesem Jahr, verfolgt von 200 Gästen online und 45 im Haus der Architekt:innen – dieser Fragestellung. Lobbyisten suggerierten, es könne ein technisch und digital gestütztes „Weiter so“ im Bausektor geben, stieg Moderator Christian Holl ein und verlangte seinen beiden Gästen eine Positionierung ab: Kann man, soll man noch Bauen? Lebe und handle man als Architekt:in/Stadtplaner:in chronischer Ambivalenz? Oder laute die Devise: „Wenn ich es nicht baue, baut es jemand anderes schlechter?“
Sophie Reiner, Studio Europa München/Wien, empfindet „moralischen Zwiespalt“. Einerseits sei das nicht gebaute Haus das Beste, andererseits würden Einfamilienhäuser weiterhin gebaut. „Es macht Spaß. Ist aber des Teufels.“ Dazwischen bewege man sich als Büro. Reiner vermisst den politischen Willen, das gute Bauen in die Masse zu bringen, ja, sie vermisst insgesamt die Anerkennung von Gebautem als großen gesellschaftlichen Einflussfaktor.
Auch Markus Lüscher, Park Architekten Zürich, sieht sich mit seinem Anspruch „hin- und hergerissen“ zwischen ganz großem Denken und im Kleinen Handeln. Wie weiter bauen? Lüscher brachte das weiter Bauen im Bestand auf eine philosophische Ebene, indem er den aus der Literaturtheorie stammenden Begriff der „doppelten Autorenschaft“ auf Gebäude übertrug. „Bauen ist immer eine Interpretation der späteren Veränderung.“ An verschiedenen Beispielen (Kochareal Zürich, Intervention auf dem Wenzelsplatz Prag, Schloss Rapperswil) zeigte Lüscher auf, wie sich Planung auf das Vorgefundene einlassen kann, mit ihm und seinen Bedingungen interagiert. „Wir verändern Identität, schreiben aber keine neue ein; wir verhalten uns uneindeutig.“ Wichtig sei, veränderbare, zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln, an die man anknüpfen könne in 50 Jahren – an denen im Sinne einer „multiplen Autorenschaft“ (Holl) weitergeschrieben werden kann.
Sophie Reiner schließt an: Natürlich gebe es Bauten, die man gern weiterbaue. Die Herausforderung sei jedoch, im Vorhandenen immer die architektonische, räumliche, strukturelle Qualität zu erkennen. „Wir müssen uns auch mit Gebäuden auseinandersetzen, die wir nicht mögen.“ Reiner und ihr Büro sind viel im „Sprawl“ tätig – in jenen Weiten des ländlich zersiedelten Raums zwischen Stadt und Dorf, wo es an Konsens über die Identität fehle, aber der Großteil der Bevölkerung sich (geschmacklich) sozialisiere. „Wir sehen hier großes raumplanerisches Potenzial“, sagt Reiner. Es gebe viel zu „reparieren“ an Fehlentwicklungen, an Strukturen, die einfach vor sich hingewachsen seien.
Moderator Holl hakt nach, wie das sei mit dem in aller Munde befindlichen „einfachen Bauen“. Beide Gäste reagieren geradezu allergisch auf den Begriff. „Einfach Bauen“ sei als Slogan geradezu gefährlich, sagt Markus Lüscher und stimmt Holl zu. Er suggeriere, dass man die Komplexität oder Widersprüchlichkeit wegbekomme, dass man weiter machen könne wie bisher, nur mit etwas mehr Digital, mehr Öko, gleichzeitig etwas weniger Vorschrift und weniger Material. Von einfachen Lösungen sei aber nicht auszugehen. Einfach bauen sei Unsinn, so der Tenor. Reiner, „die Politische“, besteht auf Attribute wie klar und klug. Lüscher, der „Philosoph“, findet, Bauen müsse clever, sinnvoll – und reduziert sein. Wie also weiterbauen? „Wir dürfen das Politische nicht vergessen, aber wir müssen uns auch beschränken.“