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Baden-Württemberg – in Sachen Baukulturinitiativen ganz vorn mit dabei – blickt stolz auf den gelungenen Einsatz von rund 8 Mrd. Euro Städtebauförderung in über 3.300 Sanierungs- und Entwicklungsgebieten zurück. Das berichtete Oliver Matzek auf der Netzwerkkonferenz Baukultur in der Stuttgarter Liederhalle. Im Mittelpunkt der Online-Konferenz, zu der am 28. Januar 2021 rund 900 Teilnehmende zugeschaltet waren, standen die im November 2020 verabschiedete Leipzig-Charta und die Städtebauförderung von Bund, Ländern und Kommunen, die in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen feiert.
„Wir sprechen nicht nur über Stadterneuerung, sondern auch über eine notwendige und nachhaltige Wirtschaftsförderung“, bekräftigte der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Sanierungs- und Entwicklungsträger Baden-Württemberg und forderte, die Städtebauförderung in den kommenden Jahren deutlich anzuheben.
„Wir brauchen eine große Menge an Geld“, stimmte Anne Katrin Bohle vom Bundesministerium des Innern für Bau und Heimat zu. „Von unserer Seite werden wir alles tun, dieses weiter zu unterstützen.“ Gleichzeitig appellierte die Staatssekretärin an die Akteure, das Geld auch zu „verbauen“ – gerade in Zeiten der Pandemie. Ein zentraler Schwerpunkt der Förderung ist es, die Innenstädte und Ortskerne attraktiv zu gestalten und ihre Infrastruktur so an aktuelle Bedürfnisse anzupassen, dass sie lebendig bleiben. Die Städtebauförderung ist ein Instrument zur Umsetzung der Leipzig-Charta als strategisches Rahmenwerk für integriertes Denken.
Das Manifest für gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung wurde am 30. November 2020 auf einem informellen Ministertreffen aller EU-Mitglieds- und Partnerstaaten verabschiedet. Es nimmt drei räumliche Dimensionen der europäischen Städte in den Fokus: das Quartier, die Kommune und die funktionalen Räume. Anders als in der Charta von 2007 geht es nicht mehr allein um sozial benachteiligte Quartiere. Außerdem finden die Klein- und Mittelstädte mehr Berücksichtigung.
Neben den räumlichen thematisiert die neue Charta drei Handlungsdimensionen: die gerechte Stadt, geprägt von Chancengleichheit, sozialer Infrastruktur und Teilhabe; die grüne Stadt, umweltgerecht, klimaneutral und mit Optionen für Menschen, die kein eigenes Grün haben; und die produktive Stadt als Voraussetzung für eine tragfähige ökonomische Basis. Ein Querschnittsthema von allen drei Handlungsdimensionen ist die Digitalisierung. Bei allen Vorteilen, die diese mit sich bringt, dürfe man aber die Risiken der Teilhabe über Technik nicht unterschätzen, warnt Anne Kathrin Bohle: „Stadt ist immer noch etwas sehr Analoges.“
Die Baubürgermeisterin Christine Kraayvanger freute sich im Fachforum „Öffentliche Räume“, dass die Neue Leipzig-Charta jetzt endlich das aufgeschrieben habe, was in Böblingen schon seit vielen Jahren praktiziert werde. Es gibt sie, die guten Projekte, die resiliente Städte entstehen lassen können. 18 davon wurden in den sechs Fachforen der Netzwerkkonferenz präsentiert und diskutiert. Sie sind auch in der Broschüre „Die Neue Leipzig-Charta – Grundlagen, Themen, Projekte“ aufgearbeitet, die vom Wirtschaftsministerium zu beziehen ist.
Ein Ergebnis aus den Diskussionen: „Die Politik muss Verlässlichkeit über Legislaturperioden hinaus herstellen, damit Prozesse gelingen“, berichtete Carmen Mundorff, Geschäftsführerin Architektur und Baukultur der AKBW und Moderatorin des Forums „Grün-Blaue-Infrastruktur“. Denn – so der Konsens der Veranstaltung – Stadtgestaltung ist ein generationenübergreifender Prozess. Frauke Burgdorff, Beigeordnete für Planung, Bau und Mobilität der Stadt Aachen, betonte: „Wir Planerinnen und Planer müssen zwei Generationen weiter denken.“
Akzeptanz von Veränderungen lässt sich herstellen durch Beteiligungsformate, so ein weiteres Diskussionsergebnis. Viel zu wenig im Gespräch sei man bisher noch mit den Eigentümern, so die Auffassung von Dr.-Ing. Silke Weidner, Professorin an der Fakultät Architektur, Bauingenieurwesen und Stadtplanung der BTU Cottbus-Senftenberg. Diese müssten auch mitmachen, gerade wenn man die Innenstädte nicht vom Handel, sondern von der Nutzungsmischung aus denken wolle. Vielleicht lässt sich der Ein oder Andere vom Gemeinwohl-Gedanken überzeugen.
Auch dem Instrument der Bürgerbeteiligung misst die Neue Leipzig-Charta viel Bedeutung bei. Hier riet Frauke Burgdorff, zwischen den Sendern einer Botschaft zu unterscheiden: Betroffene argumentieren aus ihrer Sicht und selten fürs Gemeinwohl, Ideengeber haben eine Idee von Stadt, denken vielleicht manchmal zu groß und einseitig, Stadtmacher wollen investieren in die Stadtentwicklung … Im Zentrum steht – gerade in der Neuen Leipzig-Charta – aber immer das Gemeinwohl. Bürgerbeteiligung muss repräsentativ sein.
Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit müssen die Akteure entsprechend qualifiziert sein. Die Politik kann sich die Expertise der Gestalter holen, beispielsweise durch Gestaltungsbeiräte. Aber auch die Bürgerinnen und Bürger müssen für eine qualifizierte städtebauliche Debatte geschult sein. „Gute Bürgerbeteiligung ist ein hervorragendes Instrument der Architekturvermittlung“, betonte Kammerpräsident Markus Müller in der Abschlussdiskussion. So könne man die unterschiedlichen Einflussfaktoren auf Gestaltung, wie Raumqualitäten, Dichte, Nutzungsmischung, unterschiedliche Lebensformen oder Freiraumplanung, nachvollziehbar machen. Dass Veränderungen auch Ängste auslösen, sei eine legitime Reaktion der Betroffenen. Worin besteht die Aufgabe von Architektinnen und Architekten? „Wir sind rechtfertigungspflichtig, weil wir die Lebensbedingungen von Menschen verändern“, so der Kammerpräsident.
Die Architektenkammer ist Beiratsmitglied des Netzwerks Baukultur Baden-Württemberg.
Netzwerkkonferenz 2021