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Sebastian Sage, Freier Architekt und Stadtplaner, ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Schäden an Gebäuden. Anhand eines Fragenkatalogs von Eric Zimmermann zum Sachverständigenwesen stellte er sich einem Interview.
Herr Sage, warum wird ein Architekt Sachverständiger?
Als ich 40 Jahre alt war, ging mein Arbeitgeber pleite. Das war für mich der Anstoß, die Selbstständigkeit zu versuchen. Aus dem Stand heraus betrieb ich – wie andere Beginner – ein Einmann-Büro mit Architektur, Stadtplanung und Gutachten. Als ich meine erste Mitarbeiterin fest einstellen musste, war klar, dass von den drei Bereichen die Gutachten den meisten Zuspruch gefunden hatten. Dazu hat sicher beigetragen, dass ich der einzige Sachverständige in meiner Altersgruppe war. Die Altmeister waren Jahrzehnte älter. Die starke Gruppe der heute 50-Jährigen war noch nicht dabei.
Was aussieht wie Zufall fand seine Bestimmung. Die Sachverständigen-Tätigkeit hat mehr mit Menschen als mit Technik zu tun, als es auf den ersten Blick aussieht. Da ist nicht nur der Sachverhalt technisch korrekt aufzuklären, sondern auch das Ergebnis den Beteiligten zu vermitteln. Sowohl Architektur als auch die Arbeit als Sachverständiger beinhalten technische, wirtschaftliche, gestalterische Aspekte und auch deren Vermittlung an Kunden, Mitarbeiter, und eben auch an Gerichte. Auch die Leitung und Koordination von Teams aus Spezialisten aus mehreren Fachrichtungen ist eine typische Architektenleistung, die Gerichte gerne dem „Architekten-Sachverständigen“ übertra- gen. Architekten sind als Sachverständige qualifiziert.
Die Königsdisziplin ist die öffentliche Bestellung und Vereidigung. Der Sachverständige kann dann vor Gericht auftreten. Wie lange dauert das? Was muss man machen, um dieses Ziel zu erreichen?
Die Prüfung zur öffentlichen Bestellung und Vereidigung hat sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Die Prüfung war vor langer Zeit eher ein kollegiales Gespräch, war später bis zum gerichtlichen Verbot dieser Praxis eine Zugangsbeschränkung zur Begrenzung der Konkurrenz, und ist heute eine strenge Klausur, die mit den in den Architektenkammern angebotenen zweijährigen Vorbereitungskursen erfolgreich gemeistert werden kann. Allerdings darf eine solide Baupraxis als Grundwissen nicht unterschätzt werden.
Bei all der ganzen Normenflut: Wie finden Sie sich als Sachverständiger dort noch zurecht?
Eingeführte technische Baubestimmungen, Bauregelliste, heute Muster-Verwaltungsvorschrift technische Baubestimmungen und VOB ergeben ein solides Grundgerüst der Regeln, die man kennen muss. Hilfreich sind heute Google und die Suchmaschinen von Beuth und DIN. Schwieriger wird es mit den Richtlinien der Handwerksverbände, der Verbände der Baustoffindustrie, einzelner Sparten der Baustoffindustrie, schließlich den Nebenbestimmungen in den Leistungsnachweisen von Baustoffen und Bauarten und den Verarbeitungsvorschriften der Baustoffhersteller. Da gehört manchmal das Riechorgan eines Trüffelhunds dazu, alle relevanten Regeln zusammenzutragen. Es gibt nicht nur zu viele, es gibt auch zu wenige Normen. Weil eine allgemeine Regelung für Absturzsicherungen fehlt, gibt es für Geländer an Treppen andere Regeln als für Geländer an Balkonen, für Wohnungen andere als in Schulen oder in Arbeitsstätten, für solche aus Glas andere als für solche aus Metall; Berufsgenossenschaften und Sachverständigen-Verbände basteln eigene Regelwerke – und gibt es eine Norm, wird sie in den 16 Bundesländern mit unterschiedlichen Ausnahmeregeln eingeführt.
Die neue Abdichtungsnorm ist rund 900 Seiten stark. Ist das eigentlich noch normal?
Dieses Normwerk wird in der Fachwelt wegen innerer Widersprüche und Doppelnennungen sehr kritisch diskutiert. Um nur ein Beispiel zu nennen, kennt die Norm für die Abdichtung erdberührter Bauteile 120 denkbare Kombinationen aus 5 Einwirkungsklassen, 4 Rissklassen, 3 Raumnutzungsklassen und 2 Zuverlässigkeitsanforderungen, aber nur 4 mögliche Baustoffe: Dichtungsbahnen, Asphalt, polymere und mineralische Beschichtungen. Gibt es denn für jeden der vier Baustoffe wirklich 30 verschiedene Anforderungsklassen? Auf diese Weise kommen so viele Seiten zusammen.
Zum Abschluss: Was war Ihr skurrilstes Verfahren bislang?
Erstens: Wegen einer Mietminderung von 300 Euro schickt mich ein Gericht zu Feststellungen in eine 200 km entfernte Wohnung. Anreise, Besichtigung, Bericht, Rückreise, Gutachten erhöhen die Streitsumme um mehr als 300 Euro. Wie soll aus so etwas Rechtsfrieden entstehen? Und zweitens: Der Sachverhalt im selbstständigen Beweisverfahren, bearbeitet von einem antragstellenden Anwalt, einem gegnerischen Anwalt und einem Gericht, lautete: „In der Küche riecht es nach Gas.“ Ich habe den Notdienst der Stadtwerke angerufen. Die sind mit Blaulicht und Martinshorn hingefahren. Ein Unglück konnte verhindert werden.
Sachverständigentätigkeit kann ein zweites Standbein sein und eignet sich besonders für die unabhängige, freiberufliche Betätigung. Was ist nötig, um die Qualitätskriterien der Kammer zu erfüllen? Und was hilft bei der Aufnahme in eine entsprechende Fachliste?