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Die 14. Heidelberger Schlossgespräche am 10. Oktober 2017 standen unter dem Motto "Made in Baden-Württemberg". Das Büro Barkow Leibinger hat seinen Sitz zwar in Berlin (mit Zweigstelle in New York) – Regine Leibinger, Gast der Schlossgespräche, ist aber der alten Heimat stets verbunden geblieben, nicht nur, was zahlreiche Projekte, sondern auch, was ihre Sprachmelodie angeht. Und auch die sonstigen Gäste auf dem Podium waren – wie Moderator Wolfgang Riehle eingangs feststellte – sämtlich aus Baden-Württemberg. Dabei ist das Thema des Abends, nämlich "Ordnung", zwar Grundlage jeglicher Architektur, denn was tut der Architekt anderes als aus den verschiedensten städtebaulichen oder räumlichen Vorgaben Ordnung zu schaffen, Regeln zu suchen, Prozesse zu ordnen, aber vielleicht hilft die schwäbische Mentalität ganz besonders bei der Suche nach Struktur und Regelwerk.
Regine Leibinger beginnt ihren Vortrag denn auch mit einigen grundlegenden Überlegungen zur Ordnung, einem Thema, welches sie in ihrem architektonischen Schaffen stets fasziniert hat. Ob es nun Musik oder der Aufbau von Pflanzen ist, Grundlage sind mathematische Regeln, die im Idealfall zu einer Vielfalt ohne langweilige Symmetrien führen. Diese Strukturen gilt es zu erkennen. Und es sei gerade nicht das kreative Skizzieren mit dem 6B, welches die tägliche Arbeit des Architekten bestimmt, sondern die Arbeit mit Listen, Taschenrechner, Raumbeziehungen und -größen.
Ihren Werkbericht teilt Regine Leibinger in drei unterschiedliche Kapitel auf. Im erste Oberthema "Ordnung schaffen" werden verschiedene Industriebauprojekte vorgestellt, bei denen komplexe Produktionsprozesse in sowohl funktionale als auch langfristig flexible Architekturstrukturen überführt werden mussten. Bereits seit den 1990er Jahren arbeitet das Büro für die Firma Trumpf Ditzingen; der ursprünglich entstandene Masterplan zeigte sich als so robust, dass sich dessen Fortschreibungstets nah am ursprünglichen Konzept orientiert hat. Die in diesem Rahmen realisierten Bauten zeigen, dass auch funktionale Architektur hohen ästhetischen Ansprüchen genügen kann. Ordnung muss dabei in jedem Maßstab vom Detail bis hin zum Städtebau funktionieren, ein Prinzip, welches an weiteren Beispielen wie dem Masterplan für Bayer Schering Pharma in Berlin und den Bauten für das Hawe Werk in Kaufbeuren erläutert wird. Bei aller Ordnung und Struktur entstanden ästhetisch hoch ansprechende Arbeitswelten mit großer Aufenthaltsqualität für Mitarbeiter und Besucher. Ein ungewöhnliches Beispiel ist dabei die Trumpf Smart Factory in Chicago, bei der das Thema Metall und Blechverarbeitung die Architektur bis hin zur tief rostroten Cortenstahlfassade bestimmt. Kontrastierende Douglasieverkleidungen an den Innenwänden und ein für Besucher begehbares Tragwerk unterstützen eine durchaus effektvolle Inszenierung im Sinne einer Corporate Identity.
Der zweite Teil des Werkberichtes zeigt unter dem Titel "Ordnung und Komplexität", wie geordnete Vielfalt ein Thema auf unterschiedliche Weise variieren kann. Als Beispiele dafür dienen verschiedene komplexe Fassadenbilder. Im Fall des Trutec Gebäudes in Seoul wird aus einem zwei- bzw. dreidimensionalen Modul durch Drehen um 180 Grad eine erstaunlich vielfältige Fassade generiert. Eine Herangehensweise, die beim Tour Total in Berlin durch Drehen und Spiegeln von Betonfertigteilen variiert wird. Beim Bürogebäude Monnet, der kleinen Schwester des Tour Total sind es Aluminiumfinnen und beim Geschäftshaus Bertha eine Natursteinfassade, die sich wie Filter über die Gebäude ziehen. Abschließend geht es Regine Leibinger dann um das "Einordnen", also den Umgang mit dem Genius Loci. Wobei Einordnung durchaus nicht als Anbiederung an die gebaute Umgebung zu verstehen ist, wie das Beispiel "Mühle Grüsch" in der Schweiz zeigt. Das Projekt eines Wohnhochhauses in dörflicher Umgebung überrascht, diese Bauform erklärt sich aus dem Nachbau des Volumens eines Silogebäudes an gleicher Stelle. Auch das Wohnhaus Köstlin im Prenzlauer Berg steht in Form und Material eigenständig – um nicht zusagen eigensinnig – an die Brandwand eines typischen Berliner Gründerzeitmietshaus gelehnt. Dabei ergibt sich das Volumen aus denzulässigen Abstandsflächen, ist also in Architektur transponiertes Baurecht.
Dass am anschließenden Gespräch auch ein Bauherr teilnimmt, ist ein Novum bei den Heidelberger Schlossgesprächen. Ulrich Köstlin, Eigentümer des genannten Berliner Wohnhauses, hat diese Rolle bereits als Vorstandsmitglied der Bayer Schering Pharma AG innegehabt und hat die Arbeit des Büros Barkow Leibinger über viele Jahre begleitet. Eine langjährige Freundin komplettiert das Podium: Susanne Offenbach, Kolumnistin und ehemaliges Gesicht von "Sonntag Aktuell".
Welche Bedeutung architektonische Ordnungsprinzipien für einen Bauherr haben, fragt Wolfgang Riehle zu Beginn der Gesprächsrunde. Ulrich Köstlin glaubt, dass räumliche Ordnung im Industriebau unternehmerische Vorgaben und Strukturen widerspiegelt. Wenn diese gut durchdacht ist, hat sie auch Bestand, wie die gezeigten Beispiele beweisen. Ist dann Ordnung das eigentliche Wesen der Architektur?
Susanne Offenbach ist diejenige, die das Gespräch auf andere Bahnen leitet, findet sie doch gerade das Brechen von Ordnungen den eigentlich künstlerischen Beitrag. Köstlin stimmt dem zu, indem sie auch auf die relative Beliebigkeit bei der Wahl von Ordnungsprinzipien verweist: "Das Gegenteil von Ordnung ist nicht Chaos, sondern eine andere Ordnung." Er plädiert für ein Gleichgewicht verschiedener Ordnungsprinzipien. Unser Problem in Deutschland, stellt Regine Leibinger fest, sei tatsächlich ein Zuviel an Regulierung, wie ein Blick auf starre Baunormen bestätigt, die den Planer beim Finden und Umsetzen kreativer Lösungen behindern. Wolfgang Riehle möchte dieses Thema abschließend nicht weiter vertiefen, um – wie er sagt – nicht in Depressionen zu verfallen, und wünscht sich mehr Leichtigkeit im Umgang mit Regelwerken. So endet ein Abend "Made in Baden-Württemberg" mit dem Thema "Ordnung" in einem durchaus unschwäbischen Aufruf zu etwas mehr architektonischem Ungehorsam.