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„Heimatarchitektur fern jeder Heimattümelei“ – so bezeichnete Moderator Reinhard Hübsch in der Einleitung zu den 6. Heidelberger Schlossgesprächen die Architektur desVorarlberger Büros Marte und Marte. Und obwohl mit Stefan Marte ein Architekt den Abend bestreiten sollte, der seinen Ruhm hauptsächlich in Insiderkreisen genießt und der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt ist, fanden am 10.10.2013 mehr als 500 Besucher ihren Weg in den Königssaal des Heidelberger Schlosses. Diese erwartete eine Begegnung mit einer kompromisslosen und dennoch einfühlsamen Architektur, die sich lohnen sollte.
Seinen Werkbericht beginnt Stefan Marte mit der Vorstellung des eigenen Büros. Und schon mit diesem ersten Projekt wird die Verwurzelung der Architekten in ihrer Vorarlberger Heimat deutlich. Mit 15-20 Mitarbeitern ist das Büro im Hause des Großvaters der Architekten zu Gast, einem typischen Rheintalhaus in Weiler, welches auch die Kindheit der Brüder Marte prägte. Eines der ersten Häuser des Büros aus dem Jahr 1992 zeigt dann bereits die Grundhaltung Stefan Martes zur Architektur: Es ist sein eigenes Haus in Dafins, ein hermetischer Betonkörper bestehend aus einem Sockelgeschoss mit 2 herausstehenden Kuben, scharf geschnitten aber wie selbstverständlich in den Hang gestellt. Selbst das Dach – durch die Hanglage die 5. Ansicht des Hauses - besteht komplett aus Sichtbeton, das Material, welches ebenso wie die großen Glasflächen das Äußere des Hauses bestimmt. Das Innere des Wohnhauses wiederum ist vollständig mit Birkensperrholz verkleidet. Faszinierend der Verzicht auf Abdeckungen, Bleche, Leisten, auf all die vermeintlich notwendigen Details in der Architektur. Nicht stört die Komposition der Volumen und es ergibt sich – wie Stefan Marte sagt – „eine meditative Stimmung durch Reduktion im Material“.Genauso klar und kompromisslos die Friedhofserweiterung mit Totenkapelle in Batschuns. Ein Sockel aus Stampflehm trägt den Aufbahrungsraum, der ebenfalls vollständig aus Lehm errichtet wurde. Wie auch bei Martes Wohnhaus liegt die Anlage wie selbstverständlich in der Landschaft obwohl sie eindeutig aus der Gegenwart stammt. Das gilt genauso für die weiteren vorgestellten Arbeiten: Das 7-stöckige Produktions- und Entwicklungsgebäude der „System Industrie Electronic“ in Lustenau, ebenfalls eine Skulptur in Beton und Glas, das sogenannte Badehaus in Rankweil, bewohnbare Beton-Glaspavillons die um eine zentrale Wasserfläche arrangiert sind. Wie alle anderen Gebäude extrem reduziert, „alles, was wir weglassen können, lassen wir tunlichst weg“, sagt Stefan Marte. Der überwältigenden alpinen Natur huldigt die Schanerlochbrücke in Dornbirn, eine Interpretation der alten Steinbrücken in neuer Form. Ein in sich verwundener Betonbogen spannt dynamisch zwischen zwei Felsen, als betonierte Skulptur steigert das neue Element die Dramatik der umliegenden Natur. Ähnlich faszinierend als Skulptur sind die Ergänzungen einer römischen Ausgrabung in Feldkirch, kubische Formen ganz in Cortenstahl gehalten, sowie eine Schihütte im Laternsertal, ein Turm mit einer dramatischen Einschnürung im Erdgeschoss, welche gleichzeitig wettergeschützter Eingang und überdeckte Freifläche ist. Zum Ende des Vortages kommt Stefan Marte wieder zum eingangs gezeigten eigenen Wohnhaus zurück. Da mittlerweile 5 Kinder untergebracht werden müssen – das sechste stand zur Zeit des Vortrages kurz vor der Geburt – musste das Wohnhaus erweitert werden. Ergänzend zu der ursprünglichen Beton-Glasarchitektur geschah dies durch einen dreiseitig geschlossenen Campanile aus Cortenstahl, der sich nur mit der verglasten Ostfassade zur Natur öffnet und mit der Faszination für Burgen und Wehranlagen spielt. Das neue Element wird nach seinen Bewohnern auch der „Mädchenturm“ genannt und sitzt – wie das ganze Ensemble – wie selbstverständlich in der Landschaft.
Welche Qualität aber macht Architektur im heimatlichen Kontext aus, kann sich moderne
Architektur – gerade wenn sie so kompromisslos wie die Bauten des Büros Marte und Marte ist – überhaupt in den gewachsenen Bestand einfügen? Dies war das Thema des anschließenden Podiumsgespräches mit Prof. Jürgen Goertz, Bildhauer aus Angelbachtal und Jürgen Tietz, Architekturkritiker aus Berlin. Moderator Reinhard Hübsch provozierte eingangs ganz bewusst: Martes Architektur stelle sich gegen den Bestand, sei gebaute Provokation und sperre sich jeglicher Anpassung. Schützenhilfe bekam Marte von Prof. Goertz der sich ebenfalls in seinen Arbeiten mit dem Thema Heimat beschäftigt. Ihn überzeugt gerade die Rigorosität und Konsequenz, die er als heimatliche Zutat dann akzeptieren kann, wenn die Qualität stimmt. Für ihn provoziert das Ungewohnte nur solange es tatsächlich neu ist, Martes gebaute Skulpturen hätten jedoch eine lyrische Qualität, die den Ort tatsächlich langfristig aufwertet. Auch Jürgen Tietz empfindet keine Provokation bei den vorgestellten Bauten, sie spiegelten in ihren Volumina eine sehr genaue Lesart der Landschaft wider. Architektur formuliere sich in jeder Zeit anders, füge dem Bestand neue Schichten und damit auch neue Qualitäten hinzu. So sieht es auch Marte selbst: Für ihn ist alles Gebaute ein Eingriff in die Natur, Architektur soll auf die Situation des Ortes eingehen, das Besondere suchen und ausformulieren, sich aber nicht anbiedern. Dass dies in Vorarlberg offensichtlich leichter ist als anderswo, darüber sind sich die Mitglieder des Podiums einig. Die langjährige Arbeit des Vorarlberger Architekturinstitutes habe dazu beigetragen, dass sich – wie Marte sagt – das Verständnis für Architektur, die nicht dem Gewohnten entspricht maßgeblich verändert hat. So ist die ursprüngliche Skepsis gegenüber zeitgenössischer Architektur Neugier, teilweise sogar der ausdrücklichen Forderung nach Neuem gewichen. Sicherlich Ausdruck eines regionalen architektonischen Bildungsprozesses der in dieser Form einzigartig ist.
Den Rest der Diskussion machte dann der Versuch aus, den Heimatbegriff zu fassen. Für Tietz beschränkt sich Heimat zu oft auf ein Zurückdenken an Bauten, Menschen, Düfte; an Orte, die es so gar nicht mehr gibt, reduziert sich auf vermeintliche Geschichte. Auch Goertz betont den psychologischen Aspekt des Begriffes, die Sehnsucht nach dem Verlorenen ist demnach dem Menschen eingepflanzt, prägt gerade auch ihn als Vertriebenen in seiner künstlerischen Arbeit. Letztlich gehe es bei der Suche nach Heimat um die Frage der Identität, um das Besondere des Ortes. Für Marte ist denn auch alles Gebaute ein Eingriff in die Natur, Allerweltsarchitektur fügt sich weder besser ein, noch kann sie dem Ort eine neue Identität hinzufügen. In Redebeiträgen aus dem Publikum wird festgestellt, dass die Frage nach der Schönheit der Heimat in ihrer romantischen Verklärung eine typisch deutsche ist, dass letztlich die Besonderheit von Orten zählt um sich mit ihnen identifizieren zu können. Eine entscheidende Rolle für Identifikation spiele denn auch die Sinnlichkeit guter Architektur, die optische und haptische Qualität der verwendeten Materialien, die Führung des Lichtes. Und dass gerade diese Sinnlichkeit trotz aller Strenge die herausragende und vorbildhafte Qualität der Bauten des Büros Marte und Marte ist, wurde an diesem Abend offensichtlich.
Stephan Weber