Veranstaltungsort für Tagungen, Seminare, Produktpräsentationen oder Pressekonferenzen.
Informationen für private und gewerbliche Bauherrinnen und Bauherren, Städte und Kommunen.
Zum bereits vierten Mal fanden am 18.10.2012 die Heidelberger Schlossgespräche im Königssaal des Heidelberger Schlosses statt. Und wieder ließen sich knapp 600 Gäste die Gelegenheit nicht entgehen, die Creme de la Creme der zeitgenössischen Architekturszene über das Thema „Bauen im Bestand“ diskutieren zu sehen. Zur Begrüßung betonten sowohl Annette Ipach-Öhmann, Direktorin Vermögen und Bau Baden-Würtemberg als auch der erste Bürgermeister der Stadt Heidelberg Bernd Stadel die Bedeutung der Reihe für die öffentliche Debatte über Architektur in der Region.
Gastredner war an diesem Abend Prof. Volker Staab, dessen Büro zur Zeit mit deutlichem Abstand an erster Stelle des nationalen Architektenrankings geführt wird. Was viele im Publikum jedoch nicht wissen ist, dass Staab in Heidelberg geboren und aufgewachsen ist. So berichtet er eingangs, dass ihn als Kind der Pulverturm des Heidelberger Schlosses ganz besonders fasziniert habe und damit verbunden die Frage, wie eine so massive Mauer in einem Stück weg brechen kann. Bereits damals interessierte ihn die Geschichte eines Hauses, was es erzählt und in welcher Form. Wie begegnet man demnach dem gewachsenen Ort, dem Baudenkmal. Nichts zu tun ist für ihn keine Lösung, denn auch dies bedeutet Zerstörung. Neues wie Altes gehört zu einer lebendigen Stadt, gerade die verschiedenen Zeitschichten schaffen Identität und bringen einen Ort zum „sprechen“. Als Beispiel zeigt Staab ein Bild der berühmten Mezquita de Córdoba, eine riesige mittelalterliche Moschee in deren Mitte nach der christlichen Rückeroberung ein gewaltiges Kirchenschiff erbaut wurde. Ein radikaler Umgang mit der historischen Moschee, aber ein Ort, der Geschichte im besten Sinne erlebbar macht.
Wie soll man nun als zeitgenössischer Architekt mit dem historischen Bestand umgehen?
Staab zitiert den Architekten Tom Schoper, der in seinem Buch „zur Identität von Architektur“ vier zentrale Konzepte aufzeigt, wie Architektur auf den historischen Kontext reagieren kann: als das »Selbe«, das »Ähnliche«, das »Autonome« oder das »Andere«. Die Beispiele aus seinem Büro zeigen denn auch verschiedene Ansätze: Das neue Museum Nürnberg präsentiert sich als Gebäude durchaus autonom im historischen städtischen Gefüge – nimmt aber die Grammatik der mittelalterlichen Stadt auf. Das „Öffentlichmachen“ des Blockinneren und das Öffnen des Museumsinhaltes in die Stadt werden mit diesem Bau thematisiert. Der Erweiterung der Firma „Nya Nordiska“ entwickelt aus der Sprache des Bestandes mit seinen Shed- und Giebeldächern eine eigene unverkennbare neue Gestalt, stellt sich aber dennoch „ähnlich“ dar. Im Gegensatz dazu steht die Neugestaltung des Richard Wagner Museums in Bayreuth mit einem Neubau, der den ursprünglichen Garten fasst, sich aber außerhalb der historischen Anlage befindet und auch gestalterisch ausdrücklich „anders“ - also nicht Bestandteil der Anlage sein möchte. Ein letztes Beispiel, der Umbau des Albertinums in Dresden wirkt auf den ersten Blick radikal, ein neues Depot wird über einem historischen Innenhof gebaut. Doch bietet diese Lösung die Chance, den Bestand zu revitalisieren und den Innenhof als neuen zentralen Veranstaltungsraum zu nutzen. Und dies ohne dass der Eingriff nach außen sichtbar wäre: Der Umbau ist radikal und behutsam zugleich.
Die anschließende Podiumsdiskussion wird wie immer von Reinhard Hübsch vom SWR geleitet. Gäste sind Prof. Hilde Léon vom Büro Léon Wohlhage Wernik die sich in ihren Arbeiten wie Staab mit den komplexen Einflüssen sozialer, kultureller und historischer Natur auf die Architektur beschäftigt – genannt seien die indische Botschaft in Berlin und die Erweiterung des bayrischen Landtags sowie HG Merz, wohl der renommierteste Ausstellungsgestalter Deutschlands.
Warum gibt es häufig ein solches Unverständnis gegenüber neuer Architektur in der Bevölkerung und - so fragt Reinhard Hübsch eingangs - warum bauen wir nicht einfach weiter wie bisher? Hilde Leon vergleicht die oft heftigen Reaktionen auf Neues Bauen in der Öffentlichkeit mit den Folgen einer Herztransplantation bei der es in der Regel auch zu Abwehrreaktionen kommt. Und der Versuch etwas „Gleiches“ zu bauen wird eben nie zum Gleichen führen können. Auf die Frage des Moderators ob Architektur denn provozieren müsse ist man sich einig, dass Staabs Arbeiten durchaus provozieren, dies aber auf demütige Art, eben weil die Arbeiten immer in der Auseinandersetzung mit dem Ort stehen, weil die Architektur spricht. So befindet Hilde Leon, dass Architektur gerade kein Dogma erheben darf, um auf die Umgebung und die jeweiligen Randbedingungen eingehen zu können: Eine Kritik auch an den so genannten Stararchitekten, welche die immer gleiche Architektur in die unterschiedlichsten Kontexte platzieren. HG Merz merkt an, dass das lesen von Architektur in unserer Gesellschaft im Gegensatz zu Musik und Literatur leider nicht gelehrt wird, dass der neuen Architektur ansonsten wohl mehr Vertrauen entgegengebracht würde. Vielleicht - so Leon – betrifft das Unbehagen an neuer Architektur weniger die Architektur selbst als vielmehr den Ausverkauf der Städte, den Verlust an Maßstäblichkeit und Inhalten. Sie fragt, warum den Innenstädten so viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, wenn doch die wahren Bausünden viel tausendfach und weit gehend unbemerkt in den Wohn und Gewerbegebieten der Peripherie passieren.
Die Veranstaltung endet mit einem Appell, mehr Mut im Umgang mit moderner Architektur zu wagen, schließlich würden Reibungspunkte benötigt, um nicht ins Museale abzudriften. Ein Aufruf, der auch ganz speziell die Situation in Heidelberg anspricht, wobei – wie Volker Staab befindet – die Anzahl der Besucher bei den Schlossgesprächen durchaus optimistisch stimme. So braucht gute Architektur nicht nur Architekten, die bereit sind, sich den Dingen wirklich intensiv zu widmen, sondern auch leidenschaftliche Bauherrn, die diesen Weg mitgehen. Und es erfordert – dies zeigen die Arbeiten Staabs in beispielhafter Weise – die richtige Strategie für den jeweiligen Ort. Damit unsere Gebäude lernen, Geschichten zu erzählen wie es der Heidelberger Pulverturm seit Jahrhunderten vormacht.
Text von: Stephan Weber