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Bei ARCHIKON, dem größten Architektenkongress bundesweit, trafen sich 1.300 Vertreterinnen und Vertreter aus der Baubranche.
"Seit wir in der vollen Welt leben, reden alle Leute über Nachhaltigkeit", erklärte Prof. Dr. Ernst-Ulrich von Weizsäcker. Der Keynote-Speaker von ARCHIKON sieht in dem enormen Bevölkerungswachstum eine der Hauptdynamiken für das Anthropozän, der heutigen vollen Welt. Sie sei, im Gegensatz zur leeren Welt bis vor 50 Jahren, nicht mehr nachhaltig. Vermehrung der Menschheit komme aber in den Nachhaltigkeitsdiskussionen nicht vor, weil das Thema tabu sei, konstatierte der Ko-Präsident des Club of Rome.
Dieser Zusammenschluss von Experten, der sich für eine gerechte und nachhaltige Entwicklung einsetzt, hatte mit der Veröffentlichung des Berichts "Die Grenzen des Wachstums" 1972 weltweite Beachtung gefunden. Eingehalten worden seien die Grenzen aber nicht, denn die Weltbevölkerung habe sich seitdem verdoppelt. Solche Zahlen lassen aufhorchen und von ihnen hatte der Naturwissenschaftler einige parat. Etwa, dass nur noch drei Prozent des Lebendgewichts auf der Erde auf Wildtiere entfallen und skandalöse 97 Prozent auf Menschen und Haustiere. Oder, dass die Viralität von boshaften Schimpfkanonaden in den Sozialen Medien zehnmal so groß ist wie von derjenigen der Vernunft.
Als Mitautor stellte von Weizsäcker die jüngste Publikation vor: "Wir sind dran. Club of Rome: Der große Bericht: Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen. Eine neue Aufklärung für eine volle Welt." Was bei den Philosophen früherer Jahrhunderte noch richtig war, passe nicht mehr zur Gegenwart. Während damals die geographische Reichweite von Recht und Markt identisch war, sei heute das Recht national, der Markt aber global, nannte er als Beispiel. "Seit 1990 ist die Globalisierung in die Sprache der Welt eingezogen" und "kaum war der Kalte Krieg vorbei, ist der Kapitalismus frech geworden", erklärte der Neffe des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Inzwischen bestimmten die Finanzmärkte das Weltgeschehen.
"Wir haben ziemlich gute Diagnosen – und idiotische Therapien", konstatierte der fulminante Redner. Denn die heutigen Trends seien alles andere als nachhaltig. Zwar sei man sich einig, dass es gemäß dem Pariser Klimaabkommen von 2015 etwas zu ändern gelte, doch liefen bisherige Schlussfolgerungen in die Richtung: Das wird teuer, deshalb brauchen wir mehr Wachstum. Weil dieses aber notwendig mit einem weiteren CO2-Verbrauch verbunden wäre, sieht der ehemalige Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie in ihm den fundamentalen Irrtum. "Wir leben in einer tiefen philosophischen Krise", stellte von Weizsäcker fest, eine "neue Aufklärung" tue Not. In ihr werde Balance zum wichtigsten Prinzip: zwischen Mensch und Natur, zwischen Staat und Markt.
Auch unbequeme Wahrheiten gelte es zur Kenntnis zu nehmen, denn das richtige Bewusstsein sei Voraussetzung für notwendige Änderungen. Als eine konkrete Maßnahme schlug er eine Art Pingpong zwischen Energiepreisen und Energieeffizienzgewinn vor. Die Heizkosten müssten sich per Steuererhöhungen im gleichen prozentualen Anteil verteuern wie sich die aufzubringende Heizenergie durch Effizienzmaßnahmen reduziere. Andernfalls schraube sich der Verbrauch hoch, denn der Mensch neige dazu, immer gleich viel Geld auszugeben. "Es ist alles politisch machbar", ist sich der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete sicher.
So mitreißend und erhellend seine Rede war – eine Bemerkung wie "Die Guten unter Ihnen sind Ästheten" rief natürlich bei manch Zuhörer Widerspruch hervor, gehören gestalterische Qualitäten doch essentiell zum Selbstverständnis des Berufsstands. Wie breit dieser aufgestellt ist, spiegelte sich auch im Gesamtprogramm des bundesweit größten Architektenkongresses. So vertiefte das umfangreiche Seminarangebot unter den Oberbegriffen Baukultur, Energiewende, Low-Tech, Suffizienz und Kreisläufe ganz unterschiedliche Ansätze der Nachhaltigkeit. "Aus deren Nebeneinander ergeben sich oft Zielkonflikte", erklärte Kammerpräsident Markus Müller. Aber insbesondere dann, wenn scheinbar Widersprüchliches aufeinander trifft – Forderungen aus den Bereichen Bauphysik, Gestaltung, Funktion, städtebauliche Relevanz oder historischer Erhaltungswert –, gelte es, alle wichtigen Belange im Blick zu behalten, gegeneinander abzuwägen und zu einer individuell angepassten Lösung zu führen.
Seine Amtskollegin von der Bundesarchitektenkammer (BAK), Barbara Ettinger-Brinckmann, bestätigte, dass der Berufsstand prädestiniert sei, die komplexen Herausforderungen zu meistern. "Aber man muss uns auch ranlassen", ergänzte sie mit Blick auf die zahlreichen kommunalen Entscheidungsträger im Saal. Denn angesichts herrschender Machtgefüge und Renditeinteressen fühle sie sich oft an Don Quichotes Kampf gegen Windmühlen erinnert. Den Blick richtete sie ganz besonders auf die Bodenpolitik und regte an, die Grundsteuer C wieder einzuführen: Wer Boden brach liegen lasse, werde zur Kasse gebeten. Als möglichen weiteren Hebel sieht sie die Baunutzungsverordnung: Statt die Dichte nur nach oben zu begrenzen, ist für sie eine Limitierung nach unten ebenfalls denkbar.
Auch Amandus Samsøe Sattler prangerte an, wie sehr wirtschaftliche Interessen den Markt dominierten und wie oft Gutachten vorschnell behaupteten, der Bestand sei zu schlecht für die Weiternutzung. So beobachte er derzeit wie in der Nymphenburger Straße ein Haus – "zu wenig Geschosse", "zu dicke Mauern", "zu wenig Technik" – aufwendig Stück für Stück abgetragen wird. Welche Vernichtung von grauer Energie! Und dann werde das solid Gebaute durch etwas Schäbiges ersetzt. "Gestaltungspotenziale" – so der Titel des Podiumsgesprächs mit ihm und der BAK-Präsidentin – liegen aus seiner Sicht auch in Auslobungstexten von Wettbewerben. Darin gelte es Kriterien für Nachhaltigkeit einzuspielen.
Wie sehr den baden-württembergischen Architektinnen und Architekten, Stadtplanerinnen und Stadtplanern der berufliche Austausch und die praktische Fortbildung ein Anliegen sind, davon gab ARCHIKON nachdrücklich Zeugnis ab. "Mit dem nunmehr zweiten Landeskongress für Architektur und Stadtentwicklung bietet die Architektenkammer Baden-Württemberg einen einzigartigen Treffpunkt für die gesamte Baubranche – ihren eigenen Mitgliedern genauso wie Vertreterinnen und Vertretern aus Landesverwaltung, Kommunen und Wirtschaft", erklärte Präsident Markus Müller am 1. März vor den rund 1.300 Anwesenden. Von dieser Anzahl zeigte sich Sattler "tief beeindruckt", da könne man von München aus nur neidisch schauen. Noch stolzer wird manch Herz geschlagen haben, als BAK-Bundesgeschäftsführer Dr. Tillman Prinz, der den Kongress moderierte, aus Berliner Sicht urteilte: "Von Baden-Württemberg lernen heißt siegen lernen."
Die Präsentationen zu den Vorträgen stehen im Internet zum Download bereit unter www.akbw.de/archikon2018-praesentationen.html.
Unter dem Motto UNSER LAND NEU DENKEN fand am 25.02.2021 die dritte Auflage des bundesweit größten Architekturkongresses als digitale Tagesveranstaltung statt.Download der Vorträge