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„Jenseits der Metropolen“ sind die Kammer-Architekturgespräche 2022 überschrieben. Sei die Frage also: „Wie kommt man in die Köpfe der Leute? Welche Argumente sind wichtig?“, so Moderator Christian Holl.
„Im ländlichen Raum ist Architekt oft ein ähnliches Reizwort wie Naturschützer“, sagt Kerstin Schultz, die an der Hochschule Darmstadt eine Stiftungsprofessur für „Bauen im Bestand“ innehat und in Laudenau-Reichelsheim im Odenwald lebt und arbeitet. Die größten Fehler begingen Planer, in Dörfern und Gemeinden aufzutreten mit der Attitüde, der Bürgerschaft Architektur beibringen zu wollen. Noch immer werde das Land vorwiegend aus Sicht der Städter betrachtet – als Erholungsraum, sagt Schultz. Aber auf dem Land lebten Menschen, die auch arbeiteten, die Stress hätten und mithin in ähnlichen Zwängen steckten. Punkt eins sei also: Austausch statt Beratung, sagt Schultz. Man müsse die Sichtweisen zusammenbringen.
Die Entwicklung beschrieb sie als teils bizarr: In den Städten würde gerade die Natur entdeckt – die IBA Heidelberg mit ihrem Landwirtschaftspark, Darmstadt wurde „essbare Stadt“, Düsseldorf plane Flusslandschaften in Wildnis – alles ureigentliche Themen des ländlichen Raums. Gleichzeitig habe die Stadtbevölkerung den Bezug zum Land verloren. „Sie gehen gern ins Gasthaus, aber es gibt keine richtigen Beziehungen.“ Für den ländlichen Raum wiederum seien Ländergrenzen, Kreisgrenzen, territoriale Struktur nach wie vor sehr prägend z. B., wenn der Bus nur bis zur Kreisgrenze fahre oder die Gewerbegebiete an der Stadtgrenze endeten. Die auf dem Land wohnenden Menschen bewegten sich aber davon unabhängig.
Max Otto Zitzelsberger von der TU München, Juniorprofessor für Tektonik im Holzbau, der ebenfalls hälftig auf dem Land im 600 Einwohner-Ort Kneiting lebt, übte Kritik an Haltungen wie „früher waren die Häuser besser, heute ist alles schlechter.“ Irgendwann habe er angefangen, die anderen Häuser auch ästhetisch zu betrachten. Man müsse schon mit den Leuten arbeiten. Zu Kulturpessimismus gebe es keinen Anlass, wenn man Hallen, Schober, Bauhöfe, landwirtschaftliche Nebengebäude nicht nur ästhetisch, sondern auch funktional betrachtet würden – als pragmatische Bauten, die ohne Handwerk allein durch ihre Funktionen entstehen. Man könne auch innerorts eine Stahlhalle bauen. Die Leitbildkultur für den ländlichen Raum sei oft vorgefertigt wie die Hallen der Landwirte.
Mit den Strukturen würden ästhetische Bilder geschaffen wie Modellbaulandschaften. Zitzelsberger stellte die romantische Idee des Handwerks, vor allem „das Liebliche“, das man mit dem ländlichen Bauen verbinde, grundsätzlich in Frage und behauptete: „Gutes Bauen kommt gut ohne Handwerk aus.“ Beispiel gab die Kläranlage in Berngau – dem Abriss geweiht. Sie wurde zum Konversionsraum für gehandicapte Kinder.
Moderator Holl hakte nach: „Sind Gestaltungsbeiräte Chance oder eher hinderlich?“ „In den Gremien ist es schon bockhart“, sagt Zitzelsberger. „Im Ländlichen gibt es oft Sturköpfe, aber es funktioniert im ländlichen Raum besser, neue Wege zu gehen, weil man am Ende am Wirtshaustisch sitzt.“ Es sei ein langwieriger gemeinsamer Prozess, so Schultz. Der entscheidende Punkt: Es braucht die Moderation, jemanden, der das in die Hand nimmt – eine Aussage im Übrigen, die bereits BAK-Vorsitzende Andrea Gebhard vor einem Jahr auf dem AKBW-Kongress ARCHIKON vehement vertrat.
„Keine Gestaltungssatzung, sondern in den Anglerverein gehen?“, so die abermals zugespitzte Frage Holls. Satzungen seien der Versuch, Qualität zu generieren, sagt Zitzelsberger. „Das geht in der Regel schief – am Ende sind es eben doch irgendwie Einfamilienhaussiedlungen.“
Es gebe aus tradierten Gründen keine Wohnalternative im ländlichen Raum: keine kleinen Wohnungen, keine Alternative außer wegziehen. „Wir müssen das Kreislaufwohnen hinbekommen“, sagt Schultz, die die Evaluation einer Gemeinde präsentierte, in der die gesamten Einfamilienhaussiedlungen mittelfristig ausgestorben seien. Schultz, die mit ihrer Firma liquid architekten mit Kommunen Projekte entwickelt, berichtete aber auch von ersten Konzeptvergaben für Neubausiedlungen als große Erfolg, in denen am Ende nur 20 Prozent Einfamilienhäuser und 80 Prozent „andere interessante Wohnformen“ wie Mehrgeschossbauten realisiert würden.
Architektur komme aus einer mutigen Haltung heraus. „Die guten Projekte sind diejenigen, bei denen man drei vier Punkte mit der Gemeinde gemeinsam entwickeln kann – Tourismus, Arbeitsplätze, Wohnen.“ Vorschriften, so der Kreisschluss zum Tagesthema, vertrügen die Bewohner des ländlichen Raums überhaupt nicht, sagt Kerstin Schultz. Aber beherzt pragmatisch Ideen vortragen, dabei mehr Verständnis für regionale Zusammenhänge aufzubringen, könne, verbunden mit langem Atem, tolle Entwicklungen ermöglichen.