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Das „Baulandmobilisierungsgesetz“ ist ein heißes Eisen. Die von Bundestag und Mitte Juni auch vom Bundesrat beschlossene Novelle des 13b BauGB ist bereits bei Inkrafttreten umstritten. Nicht ohne Grund: Das neue Regelwerk erlaubt Gemeinden, zügig Bauland zu aktivieren mit der Intention, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Es zieht auch einige gut gemeinte Schranken ein, aber sind es genug? Die Kontroverse darüber ist voll entbrannt und wird, landauf, landab, als verkürzte Debatte ums Einfamilienhaus geführt – auch und gerade in Baden-Württemberg, wo der Paragraf 13b BauGB besonders beliebt zu sein scheint.
Eine Erhebung des bis Mai 2021 zuständigen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau zeigte auf, dass besonders im ländlichen Raum und dort besonders in Südwürttemberg auf Basis des 13b BauGB Neubaugebiete entstehen – 13.358 Ein- und Zweifamilienhäuser in Fertigbauweise waren es 2020, das entspricht 38,4 Prozent und ist der bundesweite Spitzenwert. Doch die Umsetzung des Traums vom eigenen, frei stehenden Haus erfordert viel Unterstützung durch die Gesellschaft. Straßen, Abwasserleitungen, Flächenverbrauch – alles das wird von der Allgemeinheit getragen. Im Verhältnis zum Aufwand ist die Zahl derer, die davon profitieren, vergleichsweise gering. In die Debatte spielt hinein, dass etwa die Neue Leipzig-Charta die Gemeinwohlorientierung ins Zentrum rückt, auch der Klimaschutz, flankiert durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil („Klimaschutz ist Menschenrecht“) und die Pläne der EU-Kommission, legt sparsamen Umgang mit der Ressource Boden nahe. Das Thema ist emotionalisiert, manche sagen ideologisiert.
Die Architektenkammer Baden-Württemberg ist gefragt als Fachinstanz. Welche Meinung vertritt der Berufsstand? Markus Müller, Präsident der AKBW, hat eine klare Haltung: „Das Einfamilienhaus ist für 60 Prozent der Deutschen noch immer der Traum. Die Lösung des Wohnraum-Problems in Baden-Württemberg ist dieser Traum jedoch nicht. Einfamilienhaussiedlungen stellen für eine alternde Gesellschaft sozial, kommunikativ und versorgungstechnisch eine große Herausforderung dar und sie verbrauchen zu viel Bauland je Einwohner. Das Gebot der Stunde heißt deshalb, die vorhandene Bausubstanz in den Ortslagen kreativ zu nutzen, neue Anreize zu schaffen für Tausch statt Neubau, für nachbarschaftsfreundliche Dichte statt Zersiedelung.“
Es ist das Plädoyer für Innenverdichtung, statt immer neue „Donut-Effekte“ auszulösen. Gleichzeitig planen und bauen Architektinnen und Architekten der Kammer selbstverständlich auch Einfamilienhäuser und verdienen damit ihr Geld. Die Kammer ist deshalb geradezu naturgemäß heterogen aufgestellt, aber auch differenzierter als es die derzeitige Diskussion pro und contra Einfamilienhaus abbildet.
Gemeinden können künftig brachliegende Flächen leichter für Wohnungsbau nutzbar machen, zum Beispiel durch Gebrauch ihrer Vorkaufsrechte (§ 25 BauGB). In Regionen mit angespannten Wohnungsmärkten dürfen sie leichter ein Baugebot (§ 176 BauGB) anordnen, um Baulücken durch neue Wohngebäude zu schließen, sowie die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen für Gebäude mit mehr als fünf Wohneinheiten untersagen. Befristet bis Ende 2024 dürfen Kommunen mit sogenannten sektoralen Bebauungsplänen Flächen für Wohnbebauung festlegen (§ 9 Abs. 2d BauGB) und bis Ende 2022 Außenbereichsflächen zur Wohnnutzung in das beschleunigte Verfahren zur Bauleitplanung einbeziehen (§ 13b BauGB). Neu ist auch die Baugebietskategorisierung „Dörfliches Wohngebiet“ (§ 5a BauNVO), die das Miteinander von Wohnen und land- und forstwirtschaftlicher Nebenerwerbsnutzung leichter genehmigungsfähig macht.
AKBW-Pressesprecherin Gabriele Renz machte sich daran, die harten Gegensätze aufzuspüren, die die zugespitzte Debatte über das Baulandmobilisierungsgesetz nahelegte. In den Interviews mit zwei Kammervertretern traten dann überraschende Schnittmengen in den Argumentationen des Für und Wider zutage – und in den Schlussfolgerungen.
Pro von Thomas Sixt Finckh, FINCKH ARCHITEKTEN BDA, Vorsitzender Kammergruppe Esslingen I
Contra von Michael Scheidler, Architekt, Planwerkstatt66, Wangen im Allgäu
Thomas Sixt Finckh: Wir Architekten und Architektinnen dürfen uns nicht auf oberflächliche Diskussionen über Einfamilienhäuser (EFH) einlassen und diese in den Medien als eine „für Privilegierte“, „für Reiche“ o. ä. verpönte Wohnform abtun. Laut Umfragen ist diese Eigentumsform die beliebteste der Deutschen. Wie jede andere Wohnform auch, ist das EFH einer ständigen Weiterentwicklung und Anpassung unterzogen. Dieser Aufgabe sollten wir uns als Architektinnen und Architekten stellen und das Einfamilienhaus mit innovativen Lösungen zukunftsfähig machen. Beispiele zeigen, dass eine intelligente Architektur auch in der Typologie EFH Beiträge zu Ressourcenschonung und Nachverdichtung zu liefern im Stande ist.
Michael Scheidler: Das Einfamilienhaus ist in der heutigen Zeit überholt, weil es keine allgemein verträgliche Bau- und Wohnform ist. Ökonomisch und ökologisch, energetisch und in der Summe auch infrastrukturell sind Einfamilienhäuschen nicht mehr vertretbar. Das Einfamilienhaus stellt aus meiner Sicht ein egoistisches Ideal dar, das Prestigegewinn schon gegenüber dem Reihenhaus verschaffen soll.
T. S. F.: Es muss unbedingt differenziert und objektiv diskutiert werden. Im Jahr 2019 lebte jeder Deutsche durchschnittlich auf 47 m². In einem 6-Familien-Haus in meiner unmittelbaren Nachbarschaft werden fünf der 120 m² großen Dreizimmerwohnungen von zwei Personen und eine von einer Person bewohnt. Also wohnt hier jede Person auf 65 m². In demselben Baugebiet wird ein von uns realisiertes Einfamilienhaus, mit 90 m² Wohnfläche von einem Ehepaar belebt – jede Person sogar unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Einen ökologisch sinnvollen Fußabdruck zu hinterlassen, ist bei all unseren Planungsaufgaben ein wichtiger und unabdingbarer Ansatz geworden. Ebenso wichtig ist in meinen Augen die ästhetische Auseinandersetzung des Menschen mit dem gebauten Raum. Motivierende, faszinierende und emotionale Lebensräume, die über viele Jahrzehnte ihre Energie versprühen, sind für mich einer der größten Werte von Nachhaltigkeit und sollte uns als Architektinnen und Architekten jeden Tag aufs Neue motivieren.
M. S.: Nein. Mir ist in diesen Diskussionen oft aufgefallen, dass häufig Extreme gegenübergestellt werden: das Häuschen mit Garten versus Siedlungen wie Berlin-Marzahn. Das ist aber keine Grundlage für eine sachgerechte Auseinandersetzung. Dabei hatte es selten ein Thema so nötig, versachlicht zu werden. Die Aufregung, speziell aus dem konservativen Lager, wegen der Äußerungen des Bundestagsfraktionschefs der Grünen, Anton Hofreiter, fand ich vollkommen überzogen und der Sache nicht angemessen. Doch es ist Usus geworden, bei nicht zu widerlegenden, faktenbasierten Argumenten auf die emotionale Ebene zu wechseln und dagegen zu polemisieren.
T. S. F.: Grundsätzlich ist gegen Dichte nichts einzuwenden, wenn sie architektonisch intelligent umgesetzt wird. Das ist jedoch nur selten der Fall und so wird Dichte schnell zur Belastung. Beispiele aus Dänemark und den Niederlanden zeigen, wie individuelle, persönliche Lebensräume in dichten Wohnformen entstehen können und von den Bewohnern geliebt werden. Um „neue“ Stadt machen zu können, müssen wir uns von den Standardgedanken freimachen, Wohnansätze weiterdenken und mehr Mut für kreative Architekturen zulassen.
M. S.: Vielfach wird darüber diskutiert, ohne den Begriff klarer zu fassen. Als Planer spiele ich gerne mit räumlicher Dichte. Alte Städte, enge Gassen, schön gefasste Plätze treffen die romantische Ader der Deutschen. In der Altstadt hält man sich gern auf, schläft aber dann doch draußen am Ortsrand. Drinnen – so heißt es dann – sei es zu laut, habe es zu viel Verkehr und Trubel. Ich sage: Stadt, Dichte, Enge, Nähe fördern bis zu einem gewissen Grad das soziale Verhalten. „Stadt“ hat uns sozialisiert und tut es weiterhin. Die Neubaugebiete mit ihren palisadenbewehrten Freiflächen tun das Gegenteil.
T. S. F.: Auch da sind wir als Planer und Verfasser der Bebauungspläne mitgefordert, neue Strukturen zu entwickeln und zuzulassen. Solange in den Kommunen landauf, landab die alten, unkreativen Bebauungspläne kopiert und neu aufgelegt werden, fördern wir die banalen, emotionslosen Neubaugebiete, in denen unattraktive Fertighäuser und unsensible Einfamilienhäuser mancher Kolleginnen und Kollegen ihren Platz finden, die dann wiederum reichlich Gesprächsstoff um das Einfamilienhaus liefern.
M. S.: Je nach Klientel der Baugebiete. Vielfach sollen „junge Familien“ bauen, für diese besteht ein großer Kostendruck, was Fertighausbauer natürlich begünstigt. Sie haben durch ihre Fertigungsmethoden sicher einen Wettbewerbsvorteil gegenüber traditionellen Baubetrieben, aber der Markt ist auch umkämpft, sodass die Margen bei Fertighäusern kaum höher sein dürften. Angesichts der Bodenknappheit aber sehe ich Bodenspekulanten als die eigentlichen Profiteure des 13b, weil in den prosperierenden Regionen die knappen Flächen mit Baurecht immer wertvoller werden. Auch weil die Kommunen die Baulandbewirtschaftung oft noch – früher oder später – durch Verkauf aus der Hand geben.
T. S. F.: Absolut sehe ich uns als Architekten und Architektinnen in der Pflicht, die Bauherren dahingehend zu beraten. Die Politik sollte uns den Rahmen vorgeben, aber auch Möglichkeiten einräumen, um individuell, objektiv und kreativ beraten zu können – einen weiten Rahmen mit mehr Flexibilität. Das Korsett ist zu eng.
M. S.: Zweimal Ja! Architekt zu sein, bedeutet für mich, große soziale Verantwortung zu haben. Wir sollen Gefäße für Leben errichten, belebbares Ambiente, sprich kleine Welten für Menschen. Von daher müssen wir zur Bewusstseinsbildung beitragen, dass Ressourcen begrenzt sind und alle zusammen Verantwortung für unsere Umwelt haben. Als Architekt kann ich aber nur beraten. Die Linie wird von der Politik vorgegeben – von Orts- und Gemeinderäten bis zu Land- und Bundestag. Die Politik wäre in hohem Maße gefordert, Bewusstsein zu schaffen. Doch leider wird vielfach noch immer Klientelpolitik betrieben statt eine Politik der Notwendigkeiten. Kleine Quader auf der grünen Wiese sind es sicher nicht.
T. S. F.: Grundsätzlich, um schnell, notwendigen Wohnraum zu schaffen? OK! Dass so weitergemacht werden kann wie in der Vergangenheit? NEIN! Ich hätte mir mehr Anreize und Förderung für innovative, experimentelle Architekturen gewünscht. Denn eines liegt auf der Hand: Nur wenn der rechtliche Hintergrund und die Akzeptanz vorhanden sind, ist es uns als Planerinnen und Planer möglich, den Standard zu verlassen und zukunftsorientierte Ansätze für unsere „dritten Häute“ zu entwickeln ...
M. S.: Ich sehe keine Verbesserung gegenüber der alten Fassung. Die Obergrenze von 9.999 m² ist geradezu lächerlich. Ich habe selbst erlebt, wie ein größeres Baugebiet im Besitz der Stadt einfach anders parzelliert wurde, um – vorgeblich – schneller bauen zu können. Wünschenswert wäre, einige Regelungen im BauGB und der BauNVO anders zu gestalten: Keine Teilung zusammenhängender Baugebiete in 13b-Parzellen; striktes Baugebot oder Nutzung als allgemeine Grünflächen; Anhebung der Grundflächenzahl auf > 0,5 bei mindestens E+I+D; klare Vorgaben zur Prämisse der Innenentwicklung vor Inanspruchnahme des 13b.