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„Bäume können und sollten als Prototyp fürs Bauen verstanden werden“, sagt Tim Kaysers, Landschaftsarchitekt in der Planstatt Senner und Mitglied der Strategiegruppe Klima, Energie, Nachhaltigkeit der Architektenkammer Baden-Württemberg. Ein Haus wie ein Baum und die Stadt als Wald - diese Ideen diskutiert die Strategiegruppe und fragt: Was können wir von der Natur fürs Bauen lernen, wie lassen sich Gebäude in Ökosysteme integrieren?
Die Welt wird immer wärmer, in Deutschland steigen die Temperaturen beständig, neun der zehn wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnung 1881 lagen in den letzten 20 Jahren. Um eine weitere Überhitzung zu verhindern, müssen die Kohledioxid-Emissionen aus menschlichen Aktivitäten möglichst schnell, spätestens aber bis 2050, auf Netto-Null reduziert werden. Neben der Vermeidung des Kohlenstoffausstoßes, ist dafür mit Kohlenstoffsenken das CO2 aus der Atmosphäre zu filtern. Das tut zum Beispiel der Baum; er trägt durch seine Basisleistungen, bspw. Photosynthese, zu einer besseren Luftqualität bei. Doch er leistet noch einiges mehr, so erreicht er durch seine Verdunstungskühlung auch eine signifikante Temperaturreduktion in seiner direkten Umgebung. „Ohne Natur bzw. ihre Ökosystemleistungen wäre ein Leben auf der Erde nicht denkbar“, so Kaysers.
Doch die Natur muss vielerorts weichen; für Wohnen, Arbeiten und Verkehr werden stetig neue Flächen ausgewiesen. Laut Umweltbundesamt ist die Siedlungs- und Verkehrsfläche in den letzten 27 Jahren um 28 Prozent angestiegen, das bedeutet einen durchschnittlichen Zuwachs von 180 ha pro Tag. Aber muss das sein? Muss, wo immer gebaut wird, die Natur verdrängt werden? Die Idee der Nature-Based-Solutions sagt: Nein. Der Begriff der Natur-basierten Lösungen ist Programm und meint dreierlei:
Tim Kaysers: Der Ansatz der Nature-Based Solutions ist, stets zu fragen, wie hat die Natur diese konkrete Frage oder Herausforderung gelöst. Schauen wir uns beispielsweise den Baum bzw. Wald an: Wir sehen, der Baum wächst nach oben, das Leben im Wald findet sozusagen oben bzw. auf den höheren „Etagen“ statt. Der Raum unten, d.h. auf dem Boden bleibt unbelegt und kann anderweitig genutzt werden. Wenn sich unsere Bauweise und Stadtplanung daran orientieren würde, hieße das: Weniger Versiegelung, da sich das Gebäude – wie ein Baumwipfel – eben fern des Bodens entfaltet. Am Boden bleibt dafür bspw. Platz für kurze Wege, schließlich muss ich nicht länger um Gebäude herumlaufen. Gleichzeitig kann der Boden – wieder angepasst an die Natur – für natürliche, bodennahe Prozesse genutzt werden, bspw. in Form von Klärseen.
Sophie Luz: Mit der Idee, unsere Bautätigkeiten in Ökosystemleistungen zu integrieren, das heißt die Natur möglichst wenig zu stören bzw. vielmehr sie zu nutzen, gehen für die Architekt:innen natürlich eine Reihe praktischer Fragen einher: Wie gewährleiste ich die Versorgung des Gebäudes – immerhin muss ich Wasser und Strom nach oben bekommen? Oder vorab: Wie muss die Baustelle organisiert sein, welche Kräne brauche ich, um die Materialien überhaupt auf die höheren Etagen zu bekommen? Außerdem bräuchte es im aktuellen Baurecht Modernisierungen bspw. beim Brand- und Schallschutz.
Tim Kaysers: Auch im Hinblick auf diese Herausforderungen lohnt sich der Blick in die Natur: Wie transportiert der Baum das Wasser bis in das letzte Blatt am obersten Ast? Er nutzt Kapillarkräfte. Hinsichtlich der Statik könnte das Wurzelnetzwerk als Spannanker Inspiration bieten, immerhin sehen wir, dass Bäume bspw. Erdbeben erstaunlich gut widerstehen und auch mit Wind und Wetter wenig Probleme haben. In erster Linie möchte der Ansatz der Nature-Based-Solutions ein Um- und Nachdenken anregen, indem er ein Bewusstsein dafür schafft, dass sich in der Natur Ideen verstecken, die uns ein klimagerechteres und klimangepassteres Bauen und Leben ermöglichen könnten. Dazu gehört auch die dezentrale Organisation der natürlichen Versorgungsstrukturen, die den Quartiersgedanken stützen, aber bspw. auch die Einsicht, dass wir nach oben begrenzt sind – die höchsten Bäume werden ca. 100 Meter hoch.
Sophie Luz: Klar ist, diese Ideen lassen sich nicht von heute auf morgen umsetzen, aber die Frage bleibt: Welche Weichen stellen wir jetzt und wie lassen sich erste kleine Schritte erreichen? Dafür brauchen wir beispielhafte Bauten, die auch die Gesellschaft erreichen und begeistern. Die Earthship Communities in Kanada leben nach dem Konzept, aber auch das Null-Emissionshaus in der Hamburger Hafencity von Heinle, Wischer und Partner zeigt, wie sich Nature-Based-Solutions schon heute realisieren lassen.
Tim Kaysers: Es gibt schon heute Lösungen, die sich umsetzen lassen und auch umgesetzt werden. Dach- und Fassadenbegrünungen, Schwammstädte und ihre Wassermanagementkonzepte sind vermutlich die bekanntesten. Aber auch der Einsatz von Bio-Dämmstoffen bspw. Hanf oder dem Grünmaterial aus der Straßenpflege ist im Sinne der Natur. Daneben wird vielerorts Urban Gardening und vertikale Landwirtschaft realisiert, wodurch eine dezentrale und lokale Nahrungsmittelproduktion erreicht wird oder werden mit dem sogenannten Animal Aided Design Lebensräume für Tiere geschaffen, bspw. durch Hohlräume in Gebäuden für Fledermäuse. Mit diesen Projekten lassen sich kurzfristige Effekte erzielen und Menschen für natürliches Bauen sensibilisieren. Langfristig müssen wir grundlegender über alternative, natürliche Bauweisen nachdenken, auch wenn damit vermutlich zunächst höhere Baukosten und Investitionssummen auf uns zukämen. In der Langzeitbetrachtung würden uns die Kosten der Naturzerstörung und des Artensterbens sowie Klimawandels aber deutlich härter treffen.
Das Kompetenzteam befasst sich mit einigen der wichtigsten gesellschaftlichen Themen unserer Zeit: dem nachhaltigen Planen und Bauen sowie der Klimaanpassung.
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