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Das Thema „Ideen für klimaresiliente Städte“ zog – fünf Jahre nach der letzten Veranstaltung der „Geschwisterdisziplinen“ zählte die Architektenkammer Baden-Württemberg beim „Tag der Stadtplanung und Landschaftsarchitektur“ am 30. Juni mehr als 300 Teilnehmende online und in Präsenz. Einig waren sich die Referenten in der düster anmutenden Prognose, dass es zum Handeln fast zu spät sei.
„Man könnte eigentlich verzweifeln. Wir sehen, dass wir fast alles wissen und tun zu wenig – wir reden an eine Wand“, so Landschaftsarchitekt und AKBW-Vorstand Christof Luz. Matthias Schuster, für die Stadtplanung im AKBW-Landesvorstand, formulierte eine Botschaft des Tages in Richtung der eigenen Kammer. Sie solle die „Düse sein, durch die Klimaschutzbotschaften nach außen geblasen werden – nicht um andere zu beschimpfen, sondern um sie mitzureißen.“
Dr. René Burghardt von der Uni Kassel, Experte für Geodesign und Klimaanpassung, erachtet das Erkennen lokaler Potenziale und Defizite für wichtig. Denn jeder Raum, jeder Ort sei individuell und müsse dem Klima entsprechend angepasst werden. Dafür seien Daten wichtig, um den Raum besser analysieren und interpretieren zu können und damit beispielsweise Hotspots, Coolspots oder Frischluftschneisen zu erkennen. Das Thema Klimaanpassung stehe meist viel zu spät auf der Agenda – klimatische Steckbriefe sollten schon im städtebaulichen Wettbewerb berücksichtigt werden. „Aspekte des Klimas und der Klimaanpassung eröffnen das Potenzial um Raum, Zeit, Funktion, Nutzung zukunftsgerecht miteinander zu verknüpfen“, so Burghardt. „Berücksichtigung des Klimas ist nicht das fünfte Rad am Wagen. Wir benehmen uns wie kleine verwöhnte Kinder, die sagen: ‚Klimaschutz, muss das jetzt auch noch sein!‘“
Prof. Dr. Martin Berchtold (berchtoldkrass space&options, Karlsruhe) nutzt Geo- und Klimadaten und erarbeitet damit Innenentwicklungsstrategien und Klimakonzepte für Städte. Eine der dringlichsten urbanen Aufgaben sei, Räume mit schwieriger Problemlage zu erkennen und beispielsweise Hotspots zu lindern, insbesondere um vulnerable Gruppen zu schützen und die hitzebedingte Mortalität zu senken. Es braucht strategische Leitlinien und konkrete lokale Maßnahmen. Grüne und blaue Infrastruktur mindert Hitze: mehr Grün statt versiegelter Flächen, mehr Verschattung, Dachbegrünung, Abkühlung durch Wasser, Parks im Wohnumfeld. Das bedeute mehr Schutz – auch für die Artenvielfalt – und somit mehr Lebensqualität für alle.
„Jede Kommune muss ihr eigenes Konzept erarbeiten“, so Daniel Fluhrer. In Karlsruhe ist Klimaanpassung auch Thema in Sanierungsgebieten und bei Wettbewerbsverfahren. Die Debatte um mehr Grün in der City regte unter anderem die Transformation der ehemals achtspurigen Kriegsstraße in einen Cityboulevard an – mit breiteren Gehwegen, Gleisbettbegrünung, Radwegen, Grünstreifen und Baumreihen. Die Gewinnung der Bürgerschaft, Verantwortungsbewusstsein sowie mehr Mut und Experimentierfreude sind für den Bürgermeister der Stadt Karlsruhe dabei wichtige Aspekte, um das Thema weiterzubringen.
Die Zukunft von Wien wird heiß. Während aktuell dort 23 bis 42 Hitzetage pro Sommer mit Temperaturen über 30 Grad auftreten, werden bis 2050 schon 100 Hitzetage prognostiziert – Tendenz steigend. Im neuen Stadtteil Wien-Seestadt setzt man deshalb auf Bäume und das Schwammstadtprinzip, berichtete Daniel Zimmermann (3:0 Landschaftsarchitektur, Wien). Bäume spenden Schatten, kühlen die Umgebung, bieten Komfort sowie Aufenthaltsqualität und verbessern das Mikroklima. Ihnen stehen jeweils mindestens 35 Quadratmeter Schlemm-Substrat als Wasserspeicher zur Verfügung. Zusätzliche Tiefbeete halten das Regenwasser im Quartier zurück, das bei Trockenheit zur Versorgung bereitsteht – eine optimale Voraussetzung für gesunde vitale Bäume und die Entlastung des Abwassersystems.
Auch in Bestandsquartieren und im ländlichen Raum lassen sich die Straßenräume transformieren. In Graz werden derzeit Flächen entsiegelt, Schwammstadtkörper und Tiefbeete eingebaut, Alleen gepflanzt und die Dachentwässerung integriert. „Man sollte jedoch nur Bäume pflanzen, wenn genug Platz im Wurzelbereich vorhanden ist“, gab Zimmermann zu bedenken.
„Wir müssen uns aus unserer Komfortzone herausbewegen und den neuen Herausforderungen aktiv stellen“, forderte Pascal Posset (Hager Landschaftsarchitektur, Zürich), der gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen den Weg zum klimaneutralen Büro bestritten und Energieverbrauch sowie Mobilität bürointern deutlich reduziert hat. Für die landschaftsarchitektonischen Projekte brauche es deutlich mehr Grün und mehr Bäume: eine neue grüne Dichte, um der Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen gerecht zu werden. Die Stadt habe Posset zufolge nur eine Zukunft, wenn Freiraum und Architektur, also grüne und bauliche Dichte, zukünftig von Anfang an zusammen entwickelt werden.
Das Fazit aller Referenten: Dem Freiraum, der in Städten zur Klimaresilienz den größten Beitrag liefern könnte, werde planerisch nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, die er bräuchte, wenn bis 2045 nahezu eine Verdopplung der Erderwärmung eintritt. „Sinn des Freiraums ist seine soziale Besetzbarkeit“, sagt Luz. Daniel Zimmermann machte seiner Verzweiflung über die Handlungsresistenz der Entscheider mit dem Satz Luft: Er weine jede Nacht ins Kissen, dass so wenig geschehe.
Keynote-Speaker Dr. Michael Kopatz vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie hält den Menschen im Kurzinterview mit dem AKBW-Team für einen „genialen Verdrängungskünstler“. Dazu gebe es systemische, strukturelle Faktoren, dass beispielsweise mit dem Baukindergeld das Einfamilienhaus gefördert werde. „Auch die Politik kann die Schizophrenie leben: einerseits euphorische Beschlüsse fassen und gleichzeitig Fläche versiegeln und Dinge tun, die dem hundert Prozent zuwiderlaufen. Die Architekten, gerade auch die Kammer, haben großen Einfluss auf lokale Politik und Verwaltung, aber auch auf den Bund dahingehend, die Rahmenbedingungen und die Standards so zu erhöhen, dass man auch als Architektin oder Architekt das Richtige im Sinne des Klimaschutzes tun kann, wenn die Bauherrschaften nicht wollen. Da muss noch viel mehr Druck in den Kessel.“
Und wen anderes als die Natur können wir fragen, um zu wissen, wie wir leben sollen, um wohl zu leben?
Christoph Martin Wieland
Informationen zum Berufsbild und zur Tätigkeit der Fachrichtungen
Der Klimawandel lässt sich nicht mehr wegdiskutieren und die Herausforderungen sind immens. Die AKBW-Strategiegruppe Stadt | Land hat konzeptionelle Leitideen für klimaresiliente Kommunen in einem Papier zusammengestellt. Ein Leitfaden, um lebenswerte Räume für alle zu erhalten, zu schaffen und somit der Klimaerwärmung und dem Artensterben zu begegnen.