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Ghosting nennt man im digitalen Zeitalter das Phänomen eines vollständigen Kontakt- und Kommunikationsabbruchs ohne Ankündigung. Von einem Tag auf den anderen Tag ist die Person, mit der man eine Beziehung zu haben glaubte, einfach nicht mehr da. Kontaktversuche laufen ins Leere. Was wir seit Wochen in den Städten erleben, ist eine Art Ghosting:
Die Namen der Geschäfte stehen an den Fassaden, es ist, als könnte man jederzeit hineingehen und etwas kaufen, als könne man alten Gewohnheiten nachgehen, alten Vorlieben. Sich treffen mit Freunden, essen und trinken. Doch all die Geschäfte und Restaurants, die Weinstuben und Handlungen tun nur, als ob. Auch die Plätze scheinen nur, als ob sie Gemeinschaft herstellen könnten. Nur: Die Menschen, die es dazu bräuchte, fehlen – weil sie nur online einkaufen oder weil sich der Grund ihres Aufenthaltes in der Stadt erledigt hat: Arbeit, Einkaufen, Amüsement.
Durch die Corona-Pandemie bekommen wir eine vage Vorstellung davon, wie es wäre, wenn Innenstädte tatsächlich nur noch so täten, als ob; wenn Stadtlandschaften ihrer Funktion beraubt würden, wenn Menschen in ihnen keine Verankerung finden, wenn ihre Kontaktaufnahmen mit städtischen Räumen dauerhaft ins Leere liefen. Corona ist der Testlauf einer dunklen Vision von Stadt als bloßer Kulisse.
Hygiene und Gesundheit lösten historisch häufig Stadtumbauten aus, man denke an Paris durch Georges-Eugène Haussmann oder London nach der Cholera-Epidemie in den 1850er Jahren. Wir sehen heute klarer, welche Rahmenfaktoren das soziale Konstrukt "Stadt" zukunftsfest machen können. Es sind Lehren zu ziehen: Stadträumliche Qualität, die Stadt bewohnen, sie nutzen, in ihr sein, der Ursprung bürgerschaftlichen und freien Lebens, sind viel enger verwoben, als Konsumenten, Entscheider in den Kommunen und Unternehmen bislang wahrhaben wollten.
Wir reden schon länger davon, die europäische Stadt mit ihrer Idee der Bewohnbarkeit neu zu denken. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft will sich des Themas annehmen. Corona ist das Menetekel: unsere gemeinsame europäische Vorstellung von der Civitas ist wirklich fragil! Die Entleerung der Stadt wurde real! Wir sind geradezu gezwungen, Stadtmodelle zu entwickeln, die den Wandel von Wirtschaften und Leben als urbanistisches Projekt konsequenter denken. Die Corona-Zeiten zeigen, dass Arbeiten im Homeoffice funktioniert, Pendlerströme vermeidbar sind. Aber der Preis dürften monokulturelle Stadträume sein, denen die Bürger das Vertrauen entziehen.
Die Architektenkammer Baden-Württemberg hat eine virtuelle Ausstellung leere Städte zusammengestellt, nicht etwa wegen ihrer (morbiden) Ästhetik. Baden-württembergische Fotografen haben Plätze und Straßen im Südwesten fotografiert, um den "nackten Stand" der Baukultur und die Bedeutung von Handel, Kultur und Gastronomie in unseren Städten und Gemeinden zu dokumentieren. Die Bilder von Innenstädten, die zurückgeworfen sind auf ihre bauliche Materialität, mahnen Umdenken und Handlungsdruck bei allen Akteuren an. Architekten, Stadt- und Landschaftsplaner stehen vor der Herausforderung, urbane Lebensweisen, wie sie auch die IBA 2027 thematisiert, neu zu denken. Das war vor Corona angezeigt – jetzt erst recht.
Der Wandel in der Gesellschaft, der Trend zur Vereinzelung, die älter werdende Gesellschaft, Klimawandel und Ressourcenschonung – das alles erfordert eine ideenreiche Qualifizierung des innerstädtischen Bestands, kluge Nachverdichtungen sowie neue Modelle der Verknüpfung städtischer Nutzungen mit Wohnen, Arbeiten, Verkehr. Wir erkennen unter dem Brennglas dieser Krise, wie europäische Denktraditionen durch neoliberale Wirkmechanismen auch in stadtplanerischen Prozessen verdrängt wurden. Die Bilder leerer Stadträume sprechen eine deutliche Sprache: Die Tempel des Konsums verlieren unter den Bedingungen des Nicht-Konsums schlagartig ihre Rolle. Es wird eine Nach-Corona-Zeit geben, und die Neigung, das Negative zu verdrängen. Damit vergäben wir eine Riesenchance, den Schock von Corona umzumünzen in neues Denken. Es stellt sich die Frage nach den Handlungsspielräumen der Polis: Hat die Bürgergemeinde als Player auf dem Markt noch eine Chance? Wir müssen über Bodenpolitik sprechen, über städtebauliche Priorisierungen, über schwindende Möglichkeiten der öffentlichen Hand, die Rahmenbedingungen der Civitas selbst zu bestimmen. Denn analog zur Artenvielfalt in der Natur, ist die Stadt auf Diversität in der Nutzung angewiesen. Sie ist ihr Vertrauenskapital, nicht zuletzt lässt sich daran die gesellschaftliche Verfasstheit eines Landes ablesen. Die Corona-Krise hat uns drastisch vorgeführt, wie wichtig es sein wird, strategisch vorzugehen. Ich bin sicher: Wir werden überrascht sein vom Potenzial unserer Städte.
Fast 13 Jahre alt ist die Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt. Es ist das Kondensat informeller Treffen der EU-Städtebauminister von Lille (2000), Rotterdam (Urban Acquis, 2004) und Bristol (Bristol Accord, 2005) sowie die Ergebnisse des Europäischen Forums für Architekturpolitiken (EFAP). Die Idee der Stadt, wo europaweit 75 Prozent der Menschen leben, soll neu formuliert werden. Die Charta wendet sich u. a. gegen separat optimierte Wohn- und Geschäftsviertel, überdimensionierte Einkaufszentren und große Verkehrsflächen zugunsten von stärkerer Vermischung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Ziel ist, Städte spannender, lebendiger, sozial stabiler sowie ökonomisch weniger krisenanfällig zu machen. Zudem formuliert: "Die Stadt gehört weder der Politik, noch den Verwaltungen oder Investoren, sondern sind demokratischer Raum der Bürgerinnen und Bürger. Sie muss ‘schön’ sein: Baukultur ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit."
Das Deutsche Institut für Stadtbaukunst verfasste 2019 die "Düsseldorfer Erklärung zum Städtebaurecht" unter dem Titel "Nichts ist erledigt!" Die Forderung: Es bedarf einergrundlegenden Novellierung der Baunutzungsverordnung BauNVO mit ihren Dichteobergrenzen und Nutzungskatalogen sowie des zweiteiligen Lärmrechtes der TA-Lärm, damit in Zukunft schöne und lebensfähige Stadtquartiere, wie sie die Leipzig-Charta fordert, planbar werden und nicht an überholten planungsrechtlichen Restriktionen scheitern. In dem Papier wird gefordert, die Dichte-Obergrenzen in § 17 BauNVO (Allg. Wohngebiete GFZ 1,2) auch jenseits des neu eingeführten Quartiers 'urbanes Gebiet' (GRZ 0,8 / GFZ 3,0) zu streichen. Dagegen wenden sich zahlreiche Hochschulvertreter*innen, v. a. aus dem Bereich Stadtplanung. Das Planungsrecht sei reformbedürftig, aber die Forderung nach Abschaffung von Dichteobergrenzen sei ein Aufruf zu Deregulierung und befeuere die aktuelle Bodenspekulation in einer Zeit, da mehr und nicht weniger Steuerungsinstrumente benötigt würden, um die aus den Fugen geratenen Boden- und Wohnungsmärkte zu beruhigen. Die Düsseldorfer Erklärung lege die Leipzig Charta einseitig aus, unterwandere das Gemeinwohl und die Vielfalt der Städte. Die Diskussion läuft.
Vor 75 Jahren war mit Kriegsende in den zerbombten Städten die Stunde null. Ein Blick auf Architektur und Städtebau nach dem Zweiten Weltkrieg.