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Derzeit befinden wir uns in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Blicken wir aus gegebenem Anlass zurück: Am 8. Mai vor 75 Jahren kapitulierte die deutsche Wehrmacht. Damit endete nicht nur dieser schreckliche Krieg, sondern auch der Nationalsozialismus.
Die meisten Städte lagen nach den Bombardierungen der Alliierten (Daten nachfolgend in Klammern) in Trümmern, auch im Südwesten: in Mannheim (5./6.9.1943) waren 6.000 Gebäude und somit 51 Prozent der Stadt zerstört, in Stuttgart (25.-29.7. und 12.9.1944) war zunächst die Innenstadt und später fünf Quadratkilometer im Stuttgarter Westen durch einen von Bomben ausgelösten Feuersturm vernichtet, in Freiburg (27.11.1944) waren 80 Prozent der Altstadt vernichtet, in Karlsruhe (27.9 und 4.12.1944) 60 Prozent der Innenstadt, in Heilbronn (4.12.1944) rund 62 Prozent des gesamten Stadtgebietes, in Ulm (17.12.1944) lagen 81 Prozent der Altstadt in Trümmern und in Pforzheim (23.2.1945) waren 98 Prozent des Zentrums nur noch Schutt und Asche.
Es mussten nun nicht nur die Städte wieder aufgebaut werden, es fehlte auch massiv Wohnraum für die Überlebenden, aber in dernachfolgenden Zeit auch für die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge. Der Staat existierte nicht mehr, die Besatzungsmächte übernahmen die Verantwortung und somit auch zunächst die Verwaltung. Im Südwesten waren das (grob skizziert) nördlich der Autobahn A8 die Amerikaner, südlich davon die Franzosen. Die Stimmung in dieser Zeit beschrieb Erich Kästner, der von den Nationalsozialisten als regimekritischer Autor verfemt worden war, dessen Bücher verbrannt wurden, im Oktober 1945: "Kein Hindernis ist zu hoch und kein Abenteuer verzwickt genug, den edlen Eifer zu dämpfen. Mögen die privaten Sorgen getrost dazukommen! Wohnungssuche, Zuzugsgenehmigung, keine Möbel, das letzte Paar Schuhe, keine Nachricht von den Angehörigen ... alles tritt schattenhaft zurück hinter das, was nun, nach zwölf Jahren geistiger Fesselung und Bedrohung, endlich wieder winkt: die Freiheit der Meinung und der Kunst."
Demokratisch, weltoffen und transparent sollte Deutschland werden. Und dies sollte sich letztlich auch in der Stadtplanung und Architektur ausdrücken. Die Monumentalbauten des Nationalsozialismus wurden abgelehnt, die Suche nach einem neuen, von demokratischen Idealen geprägten Bauen begann. Erhaltene Keller und Fundamente sowie noch intakte Infrastrukturen und vor allem die privaten Grundeigentumsverhältnisse gaben jedoch die Rahmenbedingungen für den Wiederaufbau vor. So stellte Alexander Mitscherlich 1965 in seinem Buch "Die Unwirtlichkeit unserer Städte" fest: "Alte Städte hatten ein Herz. Die Herzlosigkeit, die Unwirtlichkeit der neuen Bauweise hat jedoch eine ins Gewicht fallende Entschuldigung auf ihrer Seite: das Tabu der Besitzverhältnisse an Grund und Boden in den Städten, welches jede schöpferische, tiefgreifende Neugestaltung unmöglich macht." Bereits in den zwanziger Jahren stellte der damalige Kölner Oberbürgermeister Dr. Konrad Adenauer fest: "Wir leiden nach meiner tiefsten Überzeugung in der Hauptsache in unserem Volke an der falschen Bodenpolitik der vergangenen Jahrzehnte." Auch wenn Adenauer damals der Auffassung war, dass die Frage nach einer Bodenreform die der höchsten Sittlichkeit sei – in seiner Zeit als erster deutscher Bundeskanzler hat er dazu keine entsprechenden Gesetze auf den Weg gebracht.
Wie lässt Max Frisch 1954 in seinem Funkgespräch "Der Laie und die Architektur" [aus Max Frisch Gesammelte Werke in zeitlicher Folge, Band 3 1949-1956, erschienen im Suhrkamp Verlag] den Laien die Situation treffend beschreiben? "Die zerstörten Städte, die deutschen wie die außerdeutschen, können nicht zögern und haben infolgedessen die geschichtliche Chance, die Städte der Zukunft zu werden, das Vorbild für den europäischen Städtebau zu geben." Die Grundlagen dazu waren bereits durch die Charta von Athen gelegt; demnach sollten den Menschen, die in den zunehmend dicht bebauten und industrialisierten Städten der Jahrhundertwende lebten, gesündere Lebensbedingungen geschaffen werden. Die Trennung Wohnen, Arbeiten, Verkehr und Freizeit ließ sich aber zunächst nur in neuen Stadtteilen realisieren. Für den Wiederaufbau ergaben sich im Wesentlichen drei Konzepte: radikaler Neubau auf neuem Stadtgrundriss oder überwiegend restaurativer Wiederaufbau auf altem Stadtgrundriss oder ein Kompromiss aus beidem mit unterschiedlichem Schwerpunkt, abhängig von den jeweils agierenden Personen in Verwaltung und Politik. So orientierte man sich in Freiburg viel stärker am alten Stadtgrundriss, in Ulm zerschnitt man den historischen Grundriss in Erwartung des zunehmenden Verkehrs mit der Neuen Straße schon autogerecht, in Heilbronn suchte man die Lösung in einem Städtebauwettbewerb, der jedoch auch keine favorisierte Lösung brachte; man vereinte letztlich für den Wiederaufbau Planungen der Verwaltung mit Lösungsansätzen aus den Wettbewerbsentwürfen. Nur in Pforzheim machte man sich radikal an einen kompletten Umbau des Stadtgrundrisses.
Vielerorts kristallisierte sich die Entscheidung über restaurativen Wiederaufbau oder radikalem Neuanfang an dem plakativen Disput "Giebel oder Traufe". Diese Frage führte meist zu kontroversen Diskussionen im Nachkriegsdeutschland, außer in Freiburg, wo der alte Zähringer Stadtgrundriss bereits traufständige Gebäude vorsah. In Freudenstadt baute man die Stadt historisierend wieder auf mit dem Manko, dass man die traditionelle Giebelständigkeit aufgab zugunsten traufständiger Gebäude. Dafür entschieden sich die Stadtplaner auch an vielen anderen Orten, denn das erlaubte die bessere Belüftung und Besonnung der Gebäude und machte unabhängig von Kleinteiligkeit und Zuschnitt der Parzellen. Letzteres ging aber leider oft zu Lasten des öffentlichen Raumes, denn die umfassenden Wände wurden zunehmend gesichtsloser – ganz anders als die historischen Stadträume mit ihren differenzierten Fassaden und der kleinteiligen Parzellenstruktur.
Die Frage, nach welchen Gesichtspunkten die kommunalen Verantwortlichen den Wiederaufbau planten, blieb für den Laien in Max Frischs Funkgespräch mehr oder weniger unbeantwortet, außer: "Nach städtebaulichen Gesichtspunkten!" Damit konnte er aber nichts anfangen, denn seiner Meinung nach sei Städtebau nicht ein Ziel, sondern ein Mittel zum Zweck. Er befürchtete, dass man die Frage, wie die Gesellschaft leben möchte "ein paar Beamten" überlasse. Seiner Meinung nach ist Städtebau Politik, denn die Fragen richten sich (damals wie heute) an die Bürgerschaft: "Was für eine Gesellschaft wollen wir, was für eine Lebensform?", fragt daher der Laie.
Bürgerbeteiligung fand damals noch nicht statt. Alte Gebäude, die den Bombardierungen standgehalten hatten, aber den Neuplanungen im Weg standen, wurden abgebrochen. Man hatte an den meisten Orten ein jeweils spezifisches Verständnis von Stadt. Und die meist mittelalterlichen Grundrisse waren mit der autogerechten Planung kaum kompatibel. Dennoch gilt es den Stadtplanern und Entscheidern von damals Respekt zu zollen, denn mal ehrlich: Es musste so schnell wie möglich Wohnraum für die Bevölkerung geschaffen und die in Trümmern liegenden Städte wiederaufgebaut werden, dies aber möglichst mit einem zukunftsfähigen Konzept. Hätte man damals die heutige Planungs-, Mentalitäts-, Verfahrens- und Politikmuster angewendet, wäre der Wiederaufbau mit Sicherheit mancherorts heute noch nicht abgeschlossen.
Halten wir nach diesem Rückblick einen Moment inne. Welche Erkenntnisse aus der Geschichte helfen uns bei den aktuellen Herausforderungen im Städtebau? Können wir heute die Frage des Laien immer klar beantworten, nach welchen Gesichtspunkten die Stadtentwicklung erfolgt? Ohne Kompromisse wird es wohl nie gehen, dazu sind die vielfältigen Anforderungen zu komplex. Dennoch sollte es immer um das Beste für die Stadt und ihre Bürgerschaft gehen, denn wir planen und entwickeln Lebensräume. Doch wie müssen diese künftig gestaltet sein? Die Bundesstiftung Baukultur stellt dazu in ihrem vierten Baukulturbericht, der im Juni vorgestellt wird, das Thema "Öffentliche Räume" in den Mittelpunkt. Ihr Vorsitzender Reiner Nagel schreibt im aktuellen Newsletter der Stiftung: "Wir sind auf den engsten Sozialraum zurückgeworfen und damit auf das, was uns baukulturell prägt: Die eigene Wohnung – auch als Ort des Home-Offices, das Quartier zur Nahversorgung und öffentliche Räume für Spaziergänge. Dabei merken wir an unseren Lieblingsorten und täglichen Wegen, welche gebauten Räume uns gut tun und welche nicht. Qualität setzt sich eben durch."
Damit den Städten die Menschen nicht verloren gehen, sollten wir die Corona-Krise als Impuls für sinnvolle städtebauliche Entscheidungen nutzen.