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Kammergruppenvorsitzender Christian Gaus freute sich riesig über die große Reichweite mit diesem Online Vortragsformat. "In Zeiten der Pandemie und vor allem für die Zeit danach ist es unsere Aufgabe, mit neuem Schwung und neuen Formaten die Kammerarbeit vor Ort zu aktivieren", so Gaus in seiner Begrüßung.
Dr. Turit Fröbe interessiert sich als Architekturhistorikerin nicht nur für das Herausragende und Besondere, sondern hat im Lauf der Zeit auch ein Herz für das Sperrige und Ungeliebte entwickelt. Ihre Publikationen „Die Kunst der Bausünde“, „Eigenwillige Eigenheime“ und die „Bausünden der anderen“, die sich dem Thema mit einem liebevollen Augenzwinkern widmen, sind bereits zu Bestsellern geworden.
Fröbe hat Kunstgeschichte und Klassische Archäologie in Marburg studiert. Sie beschäftigt sich aufgrund einer „banalen Begegnung“ mit einem merkwürdig gestalteten Stromverteilerkasten in der Bielefelder Innenstadt seit über 20 Jahren mit Bausünden. Damals entstand die Idee, einen Abreißkalender zu kreieren, gespickt mit auffälligen Bauten.
Über ihre Erfahrungen, Erkenntnisse und viele markante Beispiele dieses architektonisch „Sperrigen“ sprach sie kürzlich in einem Online-Vortrag, der durch die Kammergruppen Göppingen und Heidenheim initiiert wurde und dem gut 180 Interessierte folgten.Zwar war der Vortrag gespickt mit amüsanten Anekdoten und reichlich Bildmaterial aus Stadt und Land auch über die Grenzen der Republik hinaus, doch gab es durchaus ernsthafte Botschaften, die bei dieser kurzweiligen Bildreise mitschwangen. Hierzu zählt die Belanglosigkeit der vielen neuen Blockrandbebauungen, die nach der Wende in Berlin entstanden sind.
Einen AHA-Effekt bot die Aussage, dass gute Bausünden diejenigen mit großem Störfaktor sind, die hohe Wahrnehmungskraft und besondere Originalität haben. Schlechte Bausünden sind austauschbar, langweilig und banal. Bei genauer Betrachtung ist dies durchaus schlüssig.
Aufhören ließ die Aufklärung über die Kategorisierung, die Turit Fröbe vornimmt. Neben guten und schlechten Bausünden gibt es diejenigen Gebäude, die nachträglich zur Bausünde wurden, weil sie „aus der Zeit oder Mode“ gefallen sind oder weil sie nachträglich eine Überformung erfuhren - wie Doppelhaushälften in jeweils unterschiedlicher Gestaltung. Fröbe nennt sie „Schizohäuser“, weil diese zwei Gesichter haben. Die dritte Kategorie sind diejenigen, die absichtlich als solche gebaut wurden. Einige Projekte von Gottfried Böhm zählt sie dazu. Mehrfach betonte sie, wie fließend die Übergänge zwischen guter Architektur und guter Bausünde seien und dass für Fröbe selbst der Begriff „Bausünde“ nicht so negativ behaftet ist, wie sich vermuten ließe. Auch stellte sie fest, dass es immer weniger gute Bausünden in (Innen-)Stadtlagen gibt und diese bedauerlicherweise häufig abgerissen werden. Es gab durchaus Aussagen, die die Zuschauenden zum Nachdenken anregten: als traurige Bilanz musste sie feststellen, dass sie aus weit über 1200 Bildern genügend Material für diverse Publikationen von „Bausünden“ gesammelt hat, jedoch vermutlich keine Einzige mit guter Architektur veröffentlichen könne, das es zu wenig seien, die ihr offensichtlich vor die Linse geraten sind.
Schnell waren Teilnehmende, Christian Gaus als Moderator und Fröbe beim Thema Baukultur angelangt. Diese sei Spiegel der Gesellschaft. Somit ist die baukulturelle Bildung als relevanter, wichtiger Schlüssel zu sehen. Gerade Bausünden sind ebenfalls als Baukultur zu verstehen, denn sie sind real.
Daher sieht Turit Fröbe eine wichtige Mission – der sie sich hauptberuflich widmet – darin, unkonventionelle spielerische Strategien zur Baukulturvermittlung zu entwickeln. Wichtig sei es, das Bewusstsein hinsichtlich der Baukultur und somit der gebauten Umwelt in allen Schichten zu fördern. Da sei hierzulande noch viel Luft nach Oben und die Architektenschaft sei in der Pflicht. Vielmehr bedarf es allerdings eher der Verankerung baukultureller Bildung auf politischer Ebene. Beispielhaft nennt sie europäische Nachbarn wie die Schweiz oder Finnland, wo es eine Baukulturpolitik gibt, in der Baukulturbildung bereits stark verankert ist.
Etliche „Wortmeldungen“ im Chat zeugten vom Interesse, der Austausch war sehr lebhaft. Die Dankesmeldungen sprachen für sich und zeigen, wie wichtig das ehrenamtliche Engagement auf Kammerebene weiterhin ist.
Dipl.-Ing. (FH) Christian Marcel Gaus, Freier Architekt
Dipl.-Ing. Natalia KestelArchitektin