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Im Anschluss an die Mittagspause läutete Moderatorin Carmen Mundorff, Kammer-Pressesprecherin, im Plenum die Debatte zur Wohnungsbaupolitik ein. Dr. Fred Gresens, Landesvorstand der AKBW und Vorstandsvorsitzender der Mittelbadischen Baugenossenschaft eG (GEMIBAU) Offenburg, konstatierte in seinem Einführungsvortrag, dass die Immobilien- und Wohnungswirtschaft in Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren sehr stiefmütterlich behandelt worden sei. Zudem werde sie durch zahlreiche Regelungen wie beispielsweise die LBO-Novellierung oder die Mietpreisbremse immer weiter „an die Kette gelegt“. Dies habe zur Folge, dass man nun jährlich gut 80.000 neu gebaute Wohnungen benötige.
Jetzt sei der passende Moment, sich mit diesem Thema näher auseinanderzusetzen, so Gresens weiter. Was die Architekten von der Politik forderten, sei erst unlängst in einem 10-Punkte-Papier zusammengefasst worden: Neben architektonischer Qualität und baukulturellen Gesichtspunkten gehe es dabei hauptsächlich darum, das aktuelle Normungs- und Vergabewesen auf den Prüfstand zu stellen.
Gresens schloss mit den Worten, er könne sich auch für Baden-Württemberg einen Wohnungsbaukoordinator oder ein eigenes Wohnungsbauministerium vorstellen. Damit leitete er direkt zum nächsten Referenten über: Michael Sachs, Staatsrat a.D. aus Hamburg und Aufsichtsratsvorsitzender der Gewobag Wohnungsbau-Aktiengesellschaft Berlin, der von seinen diesbezüglichen Erfahrungen in der Hansestadt und auf Bundesebene berichtete.
In seinem ausführlichen Impulsvortrag zum Thema „Das Bündnis für bezahlbares Wohnen – Herausforderungen für die Wohnungswirtschaft“ schilderte Sachs seinen Ansatz einer „kooperativen Wohnungspolitik“ in Zusammenarbeit mit Mieter-, Wohnungswirtschafts- und Industrieverbänden ebenso wie mit den einzelnen Stadtbezirken. Als Wohnungsbaukoordinator war er Ansprechpartner für alle, die bauen wollten und aus diversen Gründen nicht bauen konnten. Oberstes Ziel war es, schnelle und verbindliche Entscheidungen herbeizuführen.
So setzte Sachs eine verstärkte Kunden- und Dienstleistungsorientierung in der Verwaltung durch: Die Bezirke mussten sich beispielsweise verpflichten, Baugenehmigungen in einer bestimmten Zeit abzuarbeiten. Gelang dies, erhielten sie einen finanziellen Bonus. Städtische Grundstücke wurden nicht mehr meistbietend verkauft, sondern mit Konzept ausgeschrieben. Jedes Wohnungsbauvorhaben in Hamburg musste 30 Prozent Sozialwohnungen beinhalten, des Weiteren wurde ein digitales Baugenehmigungsverfahren eingeführt oder auch die Stellplatzpflicht für Wohnungsneubauten abgeschafft. Im Zeitraum 2011 bis 2015 konnten mithilfe dieser und vieler weiterer Maßnahmen 45.000 Baugenehmigungen erteilt und 25.000 neue Wohnungen fertig gestellt werden.
Im zweiten Impulsvortrag mit dem Titel „Stadt und Haus“ knüpfte Architekt Stefan Forster von der Stefan Forster Architekten GmbH Frankfurt an die Aussagen seines Vorredners an. Er beklagte vor allem die hohen Grundstückspreise von über 2.000 Euro/Quadratmeter, die den Wohnungsbau zunehmend erschwerten. Nur durch verdichtetes Bauen könne man seiner Meinung nach die Kosten pro Quadratmeter senken, da Grund und Boden hier bereits vorhanden seien.
Städte müssten wieder definierte Ränder ausbilden, an denen man weiterbauen könne; neue Wohngebiete müssten direkt an die Stadt anschließen anstatt zu Trabantenstädten vor der eigentlichen Stadt zu werden. Forster wies auch darauf hin, dass viele Bebauungspläne veraltet seien und neue sich oftmals nicht mit kostengünstigem Wohnungsbau vereinbaren ließen. Hinzu komme, dass viele Regelungen zu Themen wie Brandschutz oder Barrierefreiheit diesem Ziel hinderlich seien. „EnEV, kombiniert mit KfW – der Tod der Architektur“, konstatierte Stefan Forster und forderte stattdessen: „Lasst uns wieder über Qualität reden, über die verantwortungsvolle Gestaltung unseres Lebensraumes!“
Anschließend bat Carmen Mundorff zu den drei Vortragenden noch Barbara Bosch, Präsidentin des Städtetags Baden-Württemberg, Robert an der Brügge, Geschäftsführer der Stadtsiedlung Heilbronn GmbH, sowie Christoph Chorherr, Gemeinderat und Landtagsabgeordneter der Grünen in Wien, auf die Bühne. In der nachfolgenden Debatte sollten die Standards, Prozesse und Strategien für bezahlbaren Wohnraum erörtert werden.
Eine Möglichkeit, so Michael Sachs, liege darin, insgesamt kleinere Wohnungen anzubieten, damit sich wieder mehr Menschen Wohnraum leisten könnten. Robert an der Brügge bestätigte, dass kleinere Wohneinheiten derzeit verstärkt nachgefragt werden, gemeinschaftlich genutzte Flächen aber immer noch wenig akzeptiert würden. Auf die Frage, ob es denn andere Wohnungstypen als bisher geben müsse, meinte Stefan Forster, dass Architekten in erster Linie Wohnungen anbieten müssten, die flexibel auf sich verändernde Bedürfnisse und Lebensumstände reagieren können. Auch Barbara Bosch bekräftigte, dass das Angebot der Wohnungswirtschaft – so wie die Gesellschaft auch – vielfältiger werden müsse: „Die richtige Mischung macht's, man wird immer wieder nachjustieren müssen.“
Christoph Chorherr bemängelte, dass der Grunderwerb meist deutlich teurer sei als das Bauen selbst. In Wien gebe es immer noch viel Grund und Boden in städtischer Hand, was seiner Meinung nach eine Grundvoraussetzung dafür sei, kostengünstige Wohnbauprojekte anstoßen zu können.
Carmen Mundorff sprach die Möglichkeit des Erbbaurechts an, Barbara Bosch erklärte jedoch, dass diese Option in Baden-Württemberg eher selten sei und nur eine denkbare Strategie, wenn die Grundstücke – wie auch in Wien – sowieso schon der öffentlichen Hand gehörten. Ansonsten habe man aber immer die Chance, planungsrechtliche Schritte einzuleiten, also entsprechende Anforderungen an die Investoren zu stellen, Stichwort Sozialbindung.
Auch Robert an der Brügge sprach sich dafür aus, Mittel- und Zielbeziehungen aufzubauen und Wohnraum bzw. Bauland im Sinne eines städtischen Liegenschaftsmanagements als strategisches Element der städtebaulichen Steuerung zu nutzen. Ebenso wünsche er sich ein einheitliches Ministerium für Wohnungs- und Städtebau auf Landesebene sowie mehr Mut zu anderen (Verfahrens-)Standards.
„Nachhaltige, in die Zukunft gerichtete Wohnungsbaupolitik kann nur über Konzeptvergaben funktionieren“, bekräftige auch Dr. Fred Gresens, der die Ausweitung der Wohnraumförderung in Baden-Württemberg als vorrangiges Ziel in der nächsten Zeit bezeichnete. Gleichzeitig plädiert er für mehr Wettbewerbe, um höhere architektonische Qualität erzielen zu können. Nicht zuletzt müssten Baugenehmigungen innerhalb von drei Monaten möglich sein. Qualität dürfe sich nicht nur an den Kosten orientieren, gab Robert an der Brügge zu bedenken. Derzeit seien aber schlichtweg zu wenig Fördergelder vorhanden: Statt 15.000 bis 20.000 könnten pro Jahr gerade einmal 1.500 Wohnungen gefördert werden.
Nach Stefan Forsters Ansicht tragen vor allem die kommunalen Gesellschaften und Genossenschaften die Verantwortung für bezahlbaren Wohnraum. Überdies forderte er eine deutliche Vereinfachung der Vergabeverfahren. Michael Sachs befand jedoch, dass auch private Bauträger stärker in die Verantwortung genommen werden müssten, denn Kommunen unterlägen den Zwängen beispielsweise einer VOB-Ausschreibung viel stärker als diese. Man sollte stattdessen Prozesse und deren Kosten stärker hinterfragen und auch einmal auf serielles Bauen setzen.
Barbara Bosch plädierte für eine stärkere Einbeziehung des baulichen Bestands (Modernisierung, Nachverdichtung), der ihrer Meinung nach immer noch nicht ausreichend beachtet werde, auch seitens der Förderung. Christoph Chorherr schlug vor, nach dem Motto „das Außen des Hauses ist das Innen der Stadt“ den öffentlichen Raum als Teil der Wohnung zu verstehen und daher mehr Begegnungs-, Freiräume und Parks in den Stadträumen zu schaffen. Ferner wünsche er sich eine mutige, üppige urbane Nachverdichtung auf verschiedenen Ebenen und brachte hierbei auch eine „Stapelung“ in den Gewerbezonen zur Sprache.
Hier finden Sie Berichte über das Eröffnungsplenum und das Abschlussplenum von ARCHIKON, erster Landeskongress für Architektur und Stadtentwicklung in Baden-Württemberg am 6.4.2016.
Fotos: Felix Kästle
Welche Wohnungsbaukonzepte Städte wie Zürich, Wien oder Berlin erfolgreich umsetzen, war eines der Themen beim ersten Landeskongress für Architektur und Stadtentwicklung in Baden-Württemberg.
Im Abschlussplenum von ARCHIKON zogen Präsident Markus Müller und Hauptgeschäftsführer Hans Dieterle eine erste Bilanz über den Landeskongress, aber auch über die neue Gremienstruktur der Architektenkammer.
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