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Was ist Baukultur und wie bekommt sie einen angestammten Platz in der Bildung? Dass es für diese Fragen keine simplen Antworten gibt, darüber herrschte Einigkeit beim 9. Schwäbischen Städte-Tag in Nagold.
Architektenkammer Baden-Württemberg, Schwäbischer Heimatbund und die Stadt Nagold waren gemeinsame Veranstalter der Fachtagung "Baukultur als Bildungsauftrag" am 25. April 2013.
Gleichwohl boten die Referenten aus Architektur, Pädagogik und Politik eine Vielfalt an Perspektiven, die in ihrer Summe durchaus Lösungswege aufzeigten, wie eine bessere Verankerung baukultureller Themen in der schulischen Bildung zu erzielen ist. Entsprechend mündete die Tagung in der Idee eines gemeinsamen Papiers, um Impulse von dort an die bildungspolitischen Entscheidungsträger weiterzugeben.
Solche ersten Impulse kamen von Prof. Christian Baumgart, Präsident des Verbandes der deutschen Architekten- und Ingenieurvereine DAI. Er bemängelte ein großes Wissensdefizit in der Bürgerschaft. Während sich nahezu jeder mit Autotypologien auskenne, fehle eine entsprechende Kompetenz im Bereich von Architektur und Städtebau. Andere europäische Länder seien Deutschland weit voraus: Ein Kind, das man hier ein Haus malen ließe, würde mit Sicherheit ein Gebäude mit Satteldach aufs Papier bringen, wohingegen in Finnland oder Holland unterschiedliche Körper und Kuben zum gängigen Repertoire gehörten.
Eine Art Mobile
Und auch die Sprachdisziplin lässt laut Baumgart zu wünschen übrig: Während Urteile über Musik oder Literatur in solche Worte gefasst würden wie „Das erschließt sich mir nicht“ oder „Das bedarf der Vertiefung“, träfe man im Bereich der Baukunst ohne weiteres auf eine Formulierung wie „Das ist scheußlich.“ In den Medien genannt würde die Bausumme, hingegen suche man oft vergeblich nach dem Namen des Architekten. „Woher kommt die Feindseligkeit gegenüber dem Neuen?“ fragte der Würzburger Stadtrat und forderte „rundum offene Planungsprozesse“. Denn nur durch öffentliche Debatten und Partizipation sei eine größere Akzeptanz in der Bevölkerung zu erreichen. Allerdings könne auch noch so viel Öffentlichkeit nicht den Rat der Fachleute ersetzen, Architektur und Städtebau seien „nicht beliebig weit demokratisierbar“. Baumgarts abschließende Definition: „Baukultur ist mehr als nur Baukunst. Sie ist in vielen Facetten ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, eine Art Mobile, das sich nur im austarierten Zustand korrekt bewegt.“
Prof. Dr. Max Fuchs, Präsident des Deutschen Kulturrats a.D., argumentierte aus erziehungswissenschaftlicher Sicht: „Der Mensch lernt nicht nur kognitiv und mit dem Kopf, sondern mit dem gesamten Körper. Der Körper wiederum bewegt sich in einer materiellen und gestalteten Umgebung.“ Bildung entstehe wesentlich auf informellem Wege. Diese Einsicht sei nicht immer gegeben gewesen. Aus der Tradition Schillerschen Denkens heraus hätten sich die Deutschen vielmehr als die Könige im Reich des Geistigen gesehen. Entsprechend gab es „Riesen-Ressentiments“ gegen die materielle Kultur, gegen die wissenschaftlich-technische Moderne. Diese – historisch erklärbare – Trennung von geistiger und materieller Kultur darf laut Fuchs nicht mehr stattfinden.
Die Gestaltung des Raums habe Wirkung auf die Bildungsqualität. „Dadurch dass wir uns irgendwo aufhalten, kommt 80 Prozent der Bildung in den Kopf.“ In diesem Rahmen verwies Fuchs auf das Programm „Kulturagenten für kreative Schulen“, das in Baden-Württemberg an 30 Schulen läuft. Dabei gehöre zu den Zielen, eine motivierende Atmosphäre nach dem Prinzip des Ästhetischen zu schaffen – „Schule muss schön sein.“ An dieser verbringe ein junger Mensch insgesamt rund 15.000 Stunden seines Lebens.
Als eigenes Schulfach?
Ganz klar warnte Fuchs jedoch davor, Baukultur zum eigenen Schulfach zu machen. Nicht nur, weil die Zahl der Unterrichtsstunden grundsätzlich keine Erhöhung vertrüge, sondern insbesondere auch, weil Schulfächer per se strengen Regularien und Leistungskontrollen unterworfen seien und dies letztlich die Inhalte ästhetischer Fächer kaputt mache.
Eine Argumentation, die sicherlich etwas für sich hat. Nicht weniger schlüssig schien jedoch der Hinweis von Prof. Dr. Bernd Reinhoffer (Leiter des Amts für Schulpraktische Studien an der Pädagogischen Hochschule Weingarten) im Rahmen des Podiumsgesprächs: Momentan fänden sich zwar architektonische Themen an zahlreichen Stellen im Bildungsplan, jedoch fehlte oftmals die notwendige Kompetenz der Lehrenden. Denn die Lehrerbildung orientiere sich an den vorhandenen Fächern, Kenntnisse im Bereich der Baukultur – die Reinhoffer für einen unabdingbaren Teil der Bildung hält – müssten in Eigeninitiative erlangt werden und würden somit zum Nischensegment.
Ganz konkrete Vorschläge wie baukulturelle Themen sinnvoll in die laufenden Unterrichtsprozesse einzubinden sind, ohne zusätzliche Fächer oder Stundenzahlen, finden sich in der Publikation der Wüstenrot Stiftung „Baukultur – gebaute Umwelt. Curriculare Bausteine für den Unterricht“. Der Band versammelt ein Lehrangebot mit 36 modularen Bausteinen für 12 Unterrichtsfächer. Wie eine daraus entwickelte Lehreinheit aussehen kann, stellte Dr. Kristina Hasenpflug (Wüstenrot Stiftung) anschaulich mit dem Projekt „Stadtspäher in Hagen“ vor. Über Vororttermine, zeichnerische und rechnerische Erfassungen, Aufsätze und anderem mehr „konnten die Schüler ein neues Verhältnis zu ihrem Leben in Hagen aufbauen“ und erlernten so einen verantwortungsvollen und kreativen Umgang mit dem Ort.
Dass Architektur im Fachunterricht eine win-win-Situation erzeugt, davon berichtete auch der Mathematik- und Physiklehrer Karlheinz Schaedler. Getreu dem wohlbekannten Spruch „Man sieht nur was man weiß“ veranschaulichte er unter anderem am Beispiel der Arche de la Défense in Paris das Phänomen der historischen Achse, des Abbilds eines vierdimensionalen Würfels in einem dreidimensionalen Raum. Das erklärte Ziel des Koautors der Curricularen Bausteine: „Die MINT-Fächer sollen stärker ins Bewusstsein kommen.“
Kinder und Jugendliche bei der Stange halten
Einen besseren Zugang zur Zielgruppe zu finden, gehört auch zur Motivation von Jan Weber-Ebnet. Er ist Vorstandsmitglied der Landesarbeitsgemeinschaft Architektur und Schule Bayern – einem Zusammenschluss von Lehrern und Architekten. Dieser verfolgt das Ziel, das Thema Architektur fächerübergreifend für alle bayerischen Schulen nutzbar zu machen und Schüler an Planungsprozessen zu beteiligen. „Das Bayerische Kultusministerium unterstützt Projekte an Schulen und vor allem außerschulischen Lernorten, die den Erwerb breit angelegter Kompetenzen ermöglichen“, wozu die Schärfung der Wahrnehmung genauso wie die Entwicklung eines kritischen Bewusstseins gehörten, erläuterte der Münchner Architekt und Stadtplaner.
Wichtig bei einem Partizipationsverfahren sei ein überschaubarer Zeitrahmen, d.h. einige Monate, denn über eine Jahre dauernde Planung hinweg ließen sich Kinder und Jugendliche nicht bei der Stange halten. Wie gut es Weber-Ebnet mit dem Projekt der „Raumpioniere“ gelungen war, die Betroffenen einzubeziehen, davon konnte sich das Publikum in der Alten Seminarturnhalle selbst überzeugen:
Den Part der konkreten Projektbeschreibung der „Stadtoasen Rosenheim“ – Planung, Realisation und Betrieb eines temporären Cafés – übernahm die Schülerin und Mitakteurin Josephine Menge. Ein erfolgreiches Projekt, das den Beteiligten jedoch auch einen enormen Einsatz abforderte, bedenkt man allein den „Genehmigungs-Wahnsinn“, womit die Gymnasiastin anschaulich ihren Kampf mit den Formularen umschrieb.
Dass Beteiligungsangebote nicht immer greifen, darauf verwies die Ravensburger Baubürgermeisterin Stefanie Utz – kamen doch lediglich zwei Bürger zu einer Diskussionsrunde anlässlich einer geplanten Baumaßnahme an der Veitsburg. Ansonsten konnte Utz jedoch auf eine breite Palette erfolgreich eingesetzter Methoden zur Sicherung der Baukultur verweisen. Darunter ein vierköpfiger Gestaltungsbeirat, der vier Mal im Jahr tage, 25.000 Euro koste und „nahezu ein Selbstläufer“ sei. Auch wenn sich manch Planer zunächst gegängelt fühle, stelle der Ratschlag des hochkarätig besetzten Gremiums letztlich immer einen Gewinn dar.
Doktrinen aufheben
Kritische Anmerkungen zum Thema Baukultur gab es von Prof. Arno Lederer. Der frischgekürte Gewinner des Deutschen Architekturpreises verwahrte sich gegen den Begriff der Demokratie im Bereich der Architektur: „Das geht nicht zusammen.“ Architektur habe auch nichts mit Wissenschaft zu tun, Fortschrittlichkeit sei hier – im Gegensatz zur Technik – keine passende Kategorie. „Es ist ja auch Unsinn zu sagen: Mozart ist fortschrittlicher als Bach.“
Am Beispiel der wiederaufgebauten Dresdner Frauenkirche resümierte er, alle hätten gesagt, es gehe nicht und nun gehe es doch, denn die Stadtsilhouette stimme wieder. Es gebe doch sicherlich einen Grund, wenn man gegen den Rat der Experten so viel Geld in die Hand nehme. „Müssen wir eine Kurskorrektur vornehmen? War das Diktum falsch?“ fragte der Professor für öffentliche Bauten und Entwerfen an der Universität Stuttgart. Wichtig sei, den Raum im Prinzip nachzuempfinden.
Bei Architektur handele es sich um „ein Abbild unserer Vorstellungen wie wir gelebt haben, leben, leben werden“. Prägend für die Baugeschichte bis ins 19. Jahrhundert sei gewesen, die Dinge weiterzuschreiben und nicht eine Fuge zu erstellen. Hier habe sich in den letzten 100 Jahren ein Wechsel vollzogen, statt von Wandel spräche man vom Bruch der Moderne. Lederer forderte, Denkmalpfleger sollten Architekten und Architekten sollten Denkmalpfleger sein. Baukultur ist für ihn „das Aufheben der Doktrinen“.
Die abschließende Podiumsdiskussion (Prof. Dr. Rainer Prewo, Nagold, Prof. Dr. Bernd Reinhoffer, Weingarten; Regierungspräsident Hermann Strampfer, Tübingen; Jan Weber-Ebnet, München; Bürgermeisterin Bettina Wilhelm, Schwäbisch Hall; Gymnasiastin Josephine Menge, Rosenheim; Moderation: Carmen Mundorff, Architektenkammer Baden-Württemberg) spiegelte die Vielfalt der Definitionen von Baukultur wider und gleichzeitig die einhellige Meinung, dass es nun darum gehen muss das Thema in die baden-württembergischen Bildungspläne, die momentan überarbeitet werden, forciert einzubringen. Denn, wie der Vertreter des Schwäbischen Heimatbunds Dr. Albrecht Rittmann überzeugend formulierte, „nur wer Wissen hat, kann am kritischen Diskurs teilnehmen.“