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Kein anderer Paragraph der Landesbauordnung führt in der bautechnischen Beratung der Kammer zu mehr Anfragen als der § 35 LBO Wohnungen, der in Absatz 1 lautet: "In Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen müssen die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei erreichbar sein; diese Verpflichtung kann auch durch barrierefrei erreichbare Wohnungen in mehreren Geschossen erfüllt werden, wenn die gesamte Grundfläche dieser Wohnungen die Grundfläche der Nutzungseinheiten des Erdgeschosses nicht unterschreitet. In diesen Wohnungen müssen die Wohn- und Schlafräume, eine Toilette, ein Bad und die Küche oder Kochnische barrierefrei nutzbar und mit dem Rollstuhl zugänglich sein. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit die Anforderungen insbesondere wegen schwieriger Geländeverhältnisse, wegen des Einbaus eines sonst nicht erforderlichen Aufzugs oder wegen ungünstiger vorhandener Bebauung nur mit unverhältnismäßigem Mehraufwand erfüllt werden können. Die Sätze 1 bis 3 gelten nicht bei der Teilung von Wohnungen sowie bei Vorhaben zur Schaffung von zusätzlichem Wohnraum durch Ausbau, Anbau, Nutzungsänderung, Aufstockung oder Änderung des Daches, wenn die Baugenehmigung oder Kenntnisgabe für das Gebäude mindestens fünf Jahre zurückliegen."
Eigentlich alles klar – so sieht es jedenfalls der Gesetzgeber. Er will damit die Voraussetzungen für mehr barrierefreien Wohnraum schaffen. "Mit der barrierefreien Nutzbarkeit soll ein Standard vorgeschrieben werden, der der DIN 18040-2 (Barrierefreies Bauen – Wohnungen) mit Ausnahme der dortigen Anforderungen nach der Rubrik "R" (uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar) für barrierefrei nutzbare Wohnungen entspricht. Die damit herzustellenden Bewegungsflächen lassen auch eine Nutzung der Wohnung mit vielen nicht elektrisch betriebenen Rollstühlen zu", ist auf der Homepage des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau zu lesen. Genaugenommen fordert der § 35 Absatz 1 LBO nur "barrierearme" Wohnungen, denn diese sind nach dem darin beschriebenen, eigenständigen Standard teilweise rollstuhlgerecht, teilweise barrierefrei, aber nicht uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar, jedoch in Teilen auch gänzlich ohne Anforderungen an die Barrierefreiheit.
Der Teufel steckt aber bekanntlich im Detail, nämlich im Bezug zur DIN 18040 Teil 2 "Barrierefreies Bauen für Wohnungen". Diese ist bereits seit 1. Januar 2018 über die anzuwendende VwV TB bauaufsichtlich eingeführt und somit zu beachten. Zur Verdeutlichung des Problems nachfolgend Beispiele aus dem Beratungsalltag der Architektenkammer. Entgegen der im Gesetz formulierten Anforderung einer (uneingeschränkten) Zugänglichkeit von Wohn- und Schlafräumen, Bad, Toilette und Küche/Kochnische mit dem Rollstuhl, die Bewegungsflächen von 150 cm x 150 cm und 90 cm Türdurchgang erfordern würde, wird über die VwV TB in Anlage A 4.2/3.mit Ziffer 3a als Ausnahme zur Ausnahmeregelung tatsächlich die Möglichkeit eröffnet, die baurechtlichen Anforderungen mit Bewegungsflächen von 120 cm x 120 cm und 80 cm Türdurchgang (für alle Türen bzw. Räume ab bzw. nach dem Rollstuhlabstellplatz) zu erfüllen. Aber nur sofern ein normgerechter Rollstuhlabstellplatz (DIN 18040-2:2011-09 Abschnitt 4.3.8) vorgesehen ist, dessen Nutzung ohne Missstände möglich sein muss. Die Anordnung vor den Wohnungen, also in der Regel im Treppenhaus, ist aber aus verschiedenen Gründen kaum möglich, genannt seien Brandschutz, Verkehrssicherheit, Diebstahlschutz und Schutz vor Vandalismus. Keller, Tiefgarage oder Fahrradabstellraum sind deshalb ebenfalls ungeeignet. Eine Alternative könnte eine Dielenerweiterung hinter der Wohnungseingangstür sein. Solange die Bewohner keinen Rollstuhl benötigen, lässt sich diese Fläche sinnvoll als Garderobe oder Abstellbereich nutzen. Und für die barrierefreie Nutzbarkeit des Sanitärraums genügt dann eine Bewegungsfläche von 120 cm x 120 cm sowie die Nachrüstbarkeit entsprechend rollstuhlgerechter Einrichtungs- und Ausstattungsgegenstände (s. hierzu Abschnitt 5.1 Allgemeines der Norm).
Und wie haben Treppenhäuser in den Gebäuden auszusehen, wenn die Regelung des § 35 Abs. 1 für Wohnungen über mehrere Geschosse verteilt angewendet wird? Sofern Sie tatsächlich nur ein Wohngebäude planen, das lediglich die Anforderungen der Landesbauordnung (hier also des § 35) erfüllen muss, bestehen an das Treppenhaus mit Treppen- und Stufenausbildungen, Handläufen usw. keinerlei Anforderungen hinsichtlich der Barrierefreiheit. Da der Gesetzgeber die barrierefreie Erreichbarkeit als stufenlose (und schwellenlose) Erreichbarkeit definiert hat, fallen also Treppen komplett aus dem Anwendungsbereich. Dies war auch bisher so kommuniziert und ist jetzt seit 1. Januar 2018 über die nun anzuwendende VwV TB auch schwarz auf weiß nachzulesen: In der zugehörigen Anlage zur bauaufsichtlichen Einführung der DIN 18040-2 wird der Abschnitt 4.3.6 = Treppen der Norm ausdrücklich ausgenommen! Sollten Sie jedoch ein Wohngebäude so planen, dass barrierefreie Wohnungen versprochen bzw. vermarktet werden, wird über den erwarteten, privatrechtlich geschuldeten Standard für eine solche Wohnung auch die vollumfänglich barrierefreie Gestaltung der gesamten Erschließung von der öffentlichen Verkehrsfläche bis in die Wohnung über zumindest ein Haupttreppenhaus gemäß Anforderung der Norm umzusetzen sein (Laufgestaltung und Stufenausbildung, Handläufe, Orientierungshilfen an Treppen und Einzelstufen ...).
Zudem gibt es laut § 35 LBO Bereiche, wie den Zugang zum Balkon oder zur Terrasse, Abstellräume inner- oder außerhalb der Wohnung oder die KFZ-Stellplätze, die keine Anforderungen an eine barrierefreie Gestaltung erfüllen müssen. Beispielsweise darf der Zugang zum Balkon oder zur Terrasse eine Schwelle haben, die je nach Konstruktion auch mal 15 cm hoch ausfallen und somit sogar zur Stolperschwelle werden kann. Also weiterer Stoff für Diskussionen und Anfragen. Die technischen Entwicklungen beim barrierefreien Bauen in den letzten Jahren waren doch beträchtlich, und auch in Bezug auf die technischen Regeln zur Abdichtung – DIN Normenreihen(n) und Flachdachrichtlinien – ist schon seit Jahren die schwellenlose Ausführung, wenn auch als abdichtungstechnische Sonderlösungen mit ggf. zusätzlichen Maßnahmen, durchaus zulässig, üblich und machbar. Zur Umsetzung der Anforderungen aus den Normen zur Barrierefreiheit – hier über die Landesbauordnung und nicht nur als privatrechtliche Vereinbarung der betreffenden Normen DIN 18025 oder 18040 gefordert - existiert bereits seit Ende 2014 auch die Klarstellung der obersten Baurechtsbehörde zum Thema: "Die weit verbreitete Annahme, 2 cm hohe Schwellen wären zulässig, traf schon bisher nicht zu. Beim Nachweis der bisherigen unbedingten technischen Erforderlichkeit bzw. der ab 1. Januar 2015 geltenden technischen Unabdingbarkeit sind regelmäßig alle am Markt verfügbaren Produkte zu erwägen."
Die Zahl der hochbetagten Menschen in Baden-Württemberg wird sich in den kommenden 30 Jahren mehr als verdoppeln. Gleichzeitig ändern sich die Lebenswirklichkeiten der Menschen. Bereits heute bestehen drei Viertel der Haushalte aus nur einer oder zwei Personen. Demgegenüber sind 80 Prozent der Wohngebäude Ein- oder Zweifamilienhäuser.
Welche Herausforderungen ergeben sich aus dem demografischen Wandel für den Wohnungsbau und wie lassen sie sich lösen? Damit befasst sich der "Runde Tisch Wohnen im Alter" unter Federführung des Demografiebeauftragten des Landes Baden-Württemberg, Thaddäus Kunzmann. Die Architektenkammer sitzt mit am Runden Tisch und bringt ihre Expertise ein. Nun liegen erste Handlungsempfehlungen vor. Die Darstellung der Ausgangslage und der Herausforderungen sind gut und auch die aufgezeigten Handlungsfelder. Schwierig erscheint jedoch das Jonglieren mit den Begriffen altersgerecht, barrierearm, barrierefrei, ohne dass diese auch nur annähernd definiert sind. Das führt zur babylonischen Sprachverwirrung und Aufklärung tut not, besonders auch in der Bevölkerung, da die meisten Käufer oder Mieter auch mit dieser spitzfindigen Unterscheidung nicht wirklich etwas anfangen können. Enttäuschungen sind vorprogrammiert, da bei der Umsetzung der Anforderungen des § 35 keine umfassend barrierefreien Wohnungen entstehen, zumindest keine solchen, die ein betroffener Mensch erwarten und im Alltag benötigen würde, ihm aber vom Bauträger oder Investor suggeriert werden.
Der § 35 fordert also nur ein Minimum. Dem Bauherrn ist es freigestellt, mehr zu tun und funktionierende rollstuhlgerechte oder zumindest dazu umrüstbare Wohnungen herzustellen. Dafür müssen Architektinnen und Architekten werben. Die Strategiegruppe Wohnen hat daher Kernthesen zum Barrierefreien Wohnungsbau in Baden-Württemberg mit best practice-Beispielen erstellt. Wir liefern die Argumente und Beispiele – Sie überzeugen!
Weiterführende Informationen im Internet:
Positionspapier der Strategiegruppe Wohnen:Kernfragen und Kernthesen zum Barrierefreien Wohnungsbau in BWHandlungsempfehlungen zum"Wohnen für das Alter"ready – vorbereitet für altengerechtes Wohnen: www.readyhome.de