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Europa beim Sommerlichen Empfang am 11. Juli 2016 in Stuttgart: Günther Oettinger fand mitreißende Worte für die Werte-, Friedens- und Wirtschaftsgemeinschaft
Eine frohe Botschaft konnte Präsident Markus Müller bei der Begrüßung der zahlreichen Vertreter aus der Politik einflechten: "Stuttgart bekommt einen Gestaltungsbeirat. Da sieht man, was passiert, wenn Architekten Baubürgermeister werden." Neben Peter Pätzold und vielen weiteren Bürgermeistern zählten auch Mitglieder des Bundestages und des baden-württembergischen Landtags zu den Gästen. Von letzterem war selbst die Präsidentin, Muhterem Aras, ins Haus der Architekten gekommen: "Eine bekennende Vertreterin der freien Berufe", freute sich Müller. Denn für die freien Berufe und deren Arbeitsbedingungen in Europa gelte es zu kämpfen.
"Deregulierung um der Deregulierung willen? - So empfinden wir das zumindest", protestierte der Kammerpräsident gegen die Unterstellung der EU-Kommission, Regelungen wie die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) würden qua se Wachstum verhindern. Die Ursache für begrenzten Marktzugang sieht Müller vielmehr in Sprachproblemen, unterschiedlichen Baunormen und Gesetzen. Die HOAI, die den Verbraucher vor Qualitätseinbußen und den Planer vor ruinösem Preisdumping schützt, sei hingegen für viele ausländische Büros gerade ein Argument für eine Niederlassung in Deutschland. Darüber hinaus verwies Müller auf die gesellschaftliche Verantwortung, die den freien Berufen jenseits der wirtschaftlichen Interessen in Europa zukomme.
Die besondere Kultur der freien Berufe sei ihm durchaus vertraut, berichtete Günther Oettinger, war doch sein eigener Vater ebenfalls Kammerpräsident. Nachdem aber diese Struktur im restlichen Europa nicht so ausgeprägt sei, riet er allen Anwesenden, sich mit ihren Anliegen direkt an die Abgeordneten in Brüssel zu wenden: "Ich vermisse deutsche Präsenz in der europäischen Hauptstadt." Wenn man akzeptiere, dass es eine europäische Union mit einem Binnenmarkt gibt - von dem im Übrigen Baden-Württemberg ganz besonders profitiere -, empfehle es sich auch, die dortigen Abgeordneten ernst zu nehmen. Ebenfalls direkt und demokratisch gewählt, haben sie laut Oettinger mehr Einfluss auf Entscheidungen über die ökonomische und kulturelle Zukunft der Deutschen als der Bundestag. Konkret auf die Honorarordnung bezogen lautete sein Rat: "Sie müssen darlegen, dass die HOAI qualitätsstabilisierend wirkt." Es gelte gute Argumente nach Brüssel zu bringen, um eine Sonderstellung auszuhandeln. Denn laut Definition sei die Architektentätigkeit eine Dienstleistung und unterliege damit der - 2006 von Deutschland mitverabschiedeten - Dienstleistungsrichtlinie.
"Richtlinien" oder "Gesetze des Marktes" waren aber keineswegs die prägenden Begriffe von Oettingers Rede. Vielmehr nahm er die Gelegenheit wahr, ein leidenschaftliches Plädoyer für unser Staatenbündnis abzugeben. "Das europäische Projekt ist in Gefahr wie noch nie", warnte der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident. Die Größe, die seinerzeit Länder wie Belgien, Holland oder Frankreich gezeigt hatten, als sie fünf Jahre nach dem Krieg mit dem ehemaligen Aggressor die Montanunion bildeten, wünsche er sich heute manchmal auch "im deutschen Romantiktal" zu spüren. Vielleicht sei die Aufnahme mancher Oststaaten etwas früh und etwas zahlreich, aber "die Fenster der Geschichte öffnen sich und sie schließen sich".
Hätte man damals die deutsche Einheit nicht durchgezogen, wäre sie in dieser Weise vielleicht nie zustande gekommen. Deutlich formulierte Oettinger seine Erwartung: "Wir, die größte europäische Volkswirtschaft, müssen das Projekt Europa vertreten!" Diese Perspektive bei jeder Gelegenheit in ihre Reden mit einzubringen, legte er den versammelten Vertretern aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Medien ans Herz.
Doch auch ein paar Nummern kleiner wusste Oettinger den Bezug zu seinem Auditorium herzustellen. Möge die Natur am Wohnsitz des Opas noch so schön sein - der Enkel käme nur zu Besuch, wenn er dort auch Zugang zu Facebook & Co. habe. "Schlaglöcher ertragen wir besser als Funklöcher", ist der EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft überzeugt. Umgehungsstraßen seien nicht so wichtig wie flächendeckend verlegte Breitbandkabel. Und auch "Ihr Beruf ist Teil der digitalen Revolution", beschied er den Architekten und Stadtplanern.
Bei Building Information Modeling (BIM), bei dem alle am Planen und Bauen Beteiligten mit einem gemeinsamen 3D-Datenmodell arbeiten, oder beim 3D-Druck sei die Digitalisierung nicht mehr wegzudenken; der sonstige Arbeitsalltag von Architekturbüros spiele sich ebenfalls zu großen Teilen in den elektronischen Medien ab. Dass der ländliche Bereich hier über schlechtere Voraussetzungen als die Städte verfüge, sei nicht hinzunehmen.
Das trifft auch die Überzeugung von Markus Müller: Es gelte die mittelständische Bürostruktur in Baden-Württemberg zu erhalten und bei der Implementierung von BIM aktiv mitzuwirken. "Auch wenn es noch etwas dauern wird, bis diese Arbeitsweise zum Planungsalltag gehört, bewerten wir den Prozess positiv", erklärte der Kammerpräsident. Man werde aber ein besonderes Augenmerk darauf richten, dass die Kolleginnen und Kollegen keinesfalls ihr gesamtes Wissen über das digitale Modell ungeschützt weitergeben müssen.
Urheberrecht und Digitalisierung, die Zukunft der freien Berufe und diejenige von Europa ... Analog zum weiten Ausblick über die Gartenbrüstung eröffneten auch die angeschnittenen Themen beim diesjährigen Sommerlichen Empfang einen breiten Horizont.