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Wellbaumweg 1072072 Tübingen
In Tübingen wurde in den letzten Jahren das neue Quartier „Mühlenviertel“ auf einem ehemaligen Fabrikareal errichtet. Die Vielfalt wurde durch eine große Bürgerbeteiligung, ähnlich wie im Französischen Viertel, erreicht. Zur Baugemeinschaft Zukunft schlossen sich acht Parteien zusammen. Ihre Wohnungen und eine Gewerbefläche wurden vom Grundriss bis zum Detail individuell gestaltet. Das Haus markiert den Quartierseingang und besitzt eine architektonisch klare, farblich intensive Fassade. Eine großzügige Eingangshalle und ein lichter Treppenraum bilden die Kernzone des Gebäudes. Auch bei der übrigen Gestaltung wurde auf eine gute Lichtführung Wert gelegt. Weitere Schwerpunkte sind ökologische Materialien und Altersangepasstheit (stufenloser Zugang, Aufzug, großzügige Flure). Der Energiestandard ist hoch: KfW-40-Standard, Holzpelletsheizung, PV-Dachanlage, Holzfenster mit Dreifachverglasung, extensive Dachbegrünung.
Materialexperiment mit Ausstrahlung
Die Fassade des Mehrfamilienhauses der Baugemeinschaft Zukunft hat eine besondere Ausstrahlung. Alle Flächen einschließlich des Sockels erhielten einen reinen Luftkalkputz, der ursprünglich für die Denkmalpflege entwickelt worden war. Der Deckputz wurde intensiv mit reinen Erdpigmenten eingefärbt. Sie werden vom Licht durchleuchtet, das vom klaren, warmen Weiß des Kalks reflektiert wird. Bei jeder Witterung strahlt der ockerfarbene Putz mit mineralischer Tiefe.
Konzept
Oberstes Ziel für die Architekten war, einen architektonischen und wohnlichen Ort zu schaffen. Mit dem leuchtenden Gebäude fassen sie das Ende der Häuserzeile. Differenzierte Einschnitte und der markante Treppenhausturm lassen es zu einer plastischen Bauskulptur werden. Terrassen fassen den Abschluss. Auch die Innenräume sind ausdifferenziert. Jede der neun Einheiten wurde auf die Bauherren maßgeschneidert, so dass sie unterschiedlich groß und ineinander verschachtelt sind. Raumhohe Fenster lassen die Räume höher erscheinen. Die Oberflächengestaltung spricht innen wie außen viele Sinne an. Durchgängigkeit war hier die Maxime: Aus jeder Distanz für das Auge sowie von Nahem für den Tastsinn gibt es viel zu erleben. Die nahbaren Materialien entwickeln mit der Zeit eine schöne Patina. Schon heute klingen Farbe, Mineralisches und Metallisches harmonisch zusammen:
• ockerfarbene Verdichtungen und Wolkenbilder des Außenputzes mit körniger Textur• kalkweiße, haptisch weichere Putzschlämme im Inneren, ohne Titandioxid• farbige Steine und Zement in gestocktem Sichtbeton• gelblich bis rötlicher Kalkstein und anthrazitfarbiger Zement in individuell gefertigtem Bodenbelag im Treppenhaus und der Eingangshalle• ins Violett spielender Sichtbeton der Treppen• verzinktes Metall mit leicht rauer Oberfläche für kleine Details (Haken, Schrankgriffe, Lampenhalterungen) und größere Bauteile (Zaun, Vordach, ornamentales Geländer)• seidenmatt eloxierte Metallstangen• graugrüne Fensterrahmen und Lochblechläden RAL 6021 • gelb lasierte Fahrstuhlauskleidung
Wichtigstes Gestaltungselement ist der mit fast 20 % Erdpigmenten gefärbte Außenputz. Für einen dauerhaft schönen Eindruck war der Farbton ebenso wichtig wie die handwerkliche Verarbeitung und das eingesetzte Material. Im frostreichen Deutschland muss es vielen bauphysikalischen Anforderungen entsprechen. Die Außenwände bilden kerngedämmte Steine mit einer mehreren cm starken mineralischen Schale - ein stabiler Untergrund für den Luftkalkputz ohne hydraulische Zusätze. Der ursprünglich für den Denkmalschutz entwickelte Putz enthält nur natürliche Bestandteile und ist hydrophil - seine Oberfläche zieht Wasser besonders an. So puffert er die Betauungsfeuchtigkeit und reduziert Veralgung und Verschmutzung. Auch die Alkalität des Kalks und seine natürliche Kreidung halten die Oberfläche sauber. Somit konnte auf Biozide ganz verzichtet und die Umwelt entlastet werden, ein sehr wichtiges Argument für die Bauherren. Auch ein Anstrich ist nicht nötig. Die robuste Oberfläche altert mit einer schönen Patina und kann sehr lange genutzt werden. Das farbige Material verstärkend, wurden alle Kanten ohne Eckschutzschienen mit hoher handwerklicher Präzision ausgearbeitet. Der manuelle Duktus ist so stets zu sehen.
Im Innenraum kamen ebenfalls körnige Putze zum Einsatz, die teilweise geschlämmt oder gefilzt wurden. Damit das Mauerwerk und die Betonansätze spürbar bleiben, wurden Eingangshalle und Treppenhaus mit Kalkputz geschlämmt. Für ausdrucksstarke Kanten wurde dort ebenfalls auf Eckschienen verzichtet. Das sanfte Weiß des Kalks ist strahlend und warm zugleich. Um den handwerklichen Eindruck zu verstärken wurden in einer Wohnung die Trennwände mit kleinteiligen Steinen gemauert und die Oberfläche ebenfalls geschlämmt. Der Rhythmus der Steine scheint nun lebendig durch. Der haptisch weiche Kalkputz wird von den Mietern sehr geschätz.
Entwurf
Für die Farbgestaltung wurde ein intensiver Prozess mit diversen Musterflächen durchlaufen. Am Computer wurde von der Fassade zuerst ein gutes Dutzend Farbvarianten entwickelt, mit unterschiedlichen Tönen für die wichtigsten Bauteile und Differenzierung einer ein- oder zweifarbig verputzten Fassade. Vorbild für den favorisierten Farbton war der Frescoanstrich des Herrenhauses im Kloster Heiligkreuztal. Allerdings sollte der Deckputz wegen größerer Dauerhaftigkeit und Robustheit durchgefärbt werden. Um die angestrebt lebendige Putzoberfläche für die Bauherren zu visualisieren, wurde ein A0-Ausschnitt der Fassade mit homogenen Farbflächen bei Fensterrahmen und -läden auf Papier gedruckt. Auf die Putzfassadenflächen wurden Eisenoxidpigmente in unterschiedlicher Intensität mit Acrylbinder bewegt aufgestrichen. Vor Ort bemusterte daraufhin der Gipser Gasbetonsteine mit pigmentiertem Originalputz. Als Alternative zum Eisenoxid, wurde schließlich noch natürliches Ockerpigment auf den A0-Ausdruck auflasiert. Das Ergebnis war weicher und überzeugte in der Leuchtkraft, weshalb das kräftige Ockerpigment ausgewählt wurde. Putzmuster in unterschiedlichen Farbintensitäten wurden mit Abschnitten der farbigen Fensterrahmen, die in Graugrün gehalten werden sollten, kombiniert. Das Konzept wurde der Baugemeinschaft in zwei Sitzungen präsentiert. Parallel wurde am Bau ein Stück stark im Wetter stehende Fensterleibung im Sockelbereich verputzt, da es außerhalb der üblichen technischen Regeln liegt, Kalk als Sockelputz zu verwenden. Mit dieser Langzeitbemusterung wurde vorab geprüft, wie der Luftkalkputz mit Feinsandzuschlag im Sockelbereich über den Winter carbonatisiert.
Wichtig für das äußere Erscheinungsbild waren auch die Geländer. Sie sollten so filigran wie möglich erscheinen und wurden als verästeltes Ornament ausgebildet. Es differenziert die Fassade weiter aus und eröffnet einen neuen Maßstab, bis zum Begreifen der Oberflächen.
Innen wünschten sich die unterschiedlichen Bauherren verschiedene Materialien und unterschiedliche Verarbeitung. Der Putz wurde geschlämmt, fein abgezogen oder fein gefilzt. Die meisten Bauherren konnten für eine Kalkfarbe ohne Titandioxid begeistert werden. Ihr leicht gebrochener Weißton ist angenehmen weich.
Handwerkliche Ausführung
Der Luftkalkputz für die Fassade wurde handwerklich aufwendig in drei Lagen verarbeitet: Vorspritz, Grundputz und mit dem französischen Ockerpigment durchgefärbter Feinputz. Den schweren Grundputz mit der Latte zu verziehen war eine Herausforderung. Er wurde waagrecht und senkrecht abgezogen und nach dem Ansteifen mit dem Gitterrabott aufgeraut. Die Kanten der bis zu 4 m hohen Fensterleibungen sollten gleichzeitig exakt und handwerklich erscheinen. Nach mehreren Versuchen und Anleitung durch einen Experten wurden sie mit einer kurzen Kartätsche rundgezogen – beim Grundputz in bis zu drei Lagen. Nach dem Aufziehen des durchgefärbten Feinputzes wurde er mit der Schwammscheibe gefilzt. Da sich dadurch die Pigmente an der Oberfläche konzentrieren, entstand ein angenehm wolkiges Bild, das die Handschrift der Verarbeiter sehen lässt.
Im Innern wurde der Schlemmputz im Treppenhaus und in einer Wohnung dünn aufgespritzt, scharf mit der Traufel abgezogen und schnell mit dem Quast und einer dünn angemachten Kalkschlämme verbürstet. Dadurch erscheint die Oberfläche weich und homogen geschlossen, der Untergrund bleibt sichtbar.
Durch die nahbaren Materialien und die handwerklichen Spuren kommt der gesamte Bau zur Ruhe. Die farbigen Oberflächen vermitteln zwischen der klaren Architektursprache und dem organischen Wachstum im und um das Gebäude.
Aktuelle Ergebnisse, die Prämierungen aus den letzten beiden Jahren sowie die ausgelobten Verfahren in diesem Jahr inklusive Tipps zur Teilnahme finden Sie hier.