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Foto: O.MAHLSTEDT
Bellingweg 2170372 Stuttgart-Bad Cannstatt
Besonderheiten des Projektes: Eine sehr heterogene Bausubstanz, das Erfüllen der Denkmalschutz-Anforderungen und ein ungewöhnliches Energiekonzept.
Ein Eisspeicher – individuelle Low-Tech-Lösung für die Frage der Energiespeicherung - optimiert die Kühlung und Beheizung des Archivs. Die agn-Ingenieure haben die ursprüngliche Idee eines saisonalen Eisspeichers, bei dem Energie zwischen Sommer und Winter pendelt, auf die speziellen Anforderungen des Archivs, bei dem ein sehr kurzfristiger, wechselnder oder auch gleichzeitiger Bedarf von Wärme und Kälte besteht, abgestimmt.
Seit Januar 2011 besitzt Stuttgart ein neues Stadtarchiv. Statt wie bisher an vier verschiedenen Standorten werden die wertvollen Dokumente, Bücher, Urkunden und Datenträger nun an einem einzigen Standort im Stadtteil Bad Cannstatt „artgerecht“ untergebracht. Hier, in dem sanierten Lagerhaus-Ensemble am Bellingweg, finden sie optimale Rahmenbedingungen vor: konstante Temperaturen und gleichbleibende Feuchteverhältnisse. Auch für die knapp 20 Mitarbeiter war der Umzug ein lang ersehnter Schritt. Mitte 2008 war die Baumaßnahme nach dreijährigem Planungsvorlauf begonnen worden.
Architektur und Sanierungsphilosophie
Die besondere Aufgabe: Umnutzung eines teilweise denkmalgeschützten Fabrikbaus von 1921 in ein modernes Archivgebäude. Dabei bestand die Herausforderung in der - trotz eines einheitlichen Erscheinungsbildes - sehr heterogenen Bausubstanz und unterschiedlichen Konstruktionsweise der verschiedenen Bauteile. Darüber hinaus gab es keinen Brandschutz, teilweise fehlte jede thermische Eignung. Vor dem Hintergrund langjähriger Erfahrung in Umnutzungsprojekten von mittelalterlichen Klosteranlagen über die Umnutzung einer Pfarrkirche bis zum Industriedenkmal war es agn auch hier wichtig, historische Spuren so authentisch wie möglich zu bewahren. Sowohl für denkmalgeschützte Elemente, als auch für jüngere, nicht unter Denkmalschutz stehende aber erhaltenswerte Bauteile galt es eine schlüssige bauliche und technische Gesamtlösung für das Ensemble zu finden. Beispiel: Die Ziegelfassaden bleiben dank innen liegender Dämmung sichtbar. Auch die Grundausprägung der Dächer und Fensteröffnungen zum gesamten Innenhof und auf der Giebelseite wurde erhalten, um die vorhandene kraftvolle und homogene Erscheinung der Gesamtanlage auch über den denkmalgeschützten Teil hinaus zu bewahren. Über das klimatisierte Archiv hinaus, wurden moderne Arbeitsplätze für Verwaltung und Werkstätten, ein öffentlicher Lesesaal mit angeschlossener Freihandbibliothek sowie diverse Gruppen und Medienräume eingerichtet.
Energiekonzept: Fünf Jahre vor der Zeit
Obwohl fast unsichtbar besitzt das Energiekonzept aber dennoch ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Von Anfang an war der Anspruch hoch. Bereits bei den Planungen 2006 wurden energetische Richtlinien umgesetzt, die die Anforderungen der EnEV deutlich übertrafen. Der Stuttgarter Energieerlass verlangte – anders als die EnEV, die lediglich einen Gesamtnachweis fordert – die Einzelberechnung aller Komponenten und Bauteile wie Fenster und Türen. Der hohe Energiestandard wurde also konsequent auf alle Bauteile übertragen.
Sonderfall Archiv
Beheizung, Befeuchtung, sowie Entfeuchtung und Kühlung – das sind die wichtigsten Stellschrauben für die Schaffung der optimalen klimatischen Rahmenbedingungen für Archivgüter. Für die Planer herrschen in einem Archiv erschwerte Bedingungen: Aus Sicherheitsgründen dürfen zum Beispiel keine Wasser führenden Versorgungsleitungen zur Einbringung von Energie (Wärme/Kälte) verlegt werden. Außerdem ist eine intensive Luftdurchströmung notwendig, um überhaupt eine gleichmäßige Verteilung von Temperatur und Feuchte im Raum realisieren zu können. Auf der Suche nach dem passenden Energiekonzept für das Stadtarchiv Stuttgart wurde deshalb dieses Verhalten vorab simuliert und die späteren Betriebskosten so exakt wie möglich im Voraus berechnet, da die speziellen Anforderungen eines Archivs erheblichen Einfluss auf den Energiebedarf haben. Eines konnte jedoch auch die deutlich verbesserte Gebäudehülle nicht auffangen: Die energetisch sehr aufwändige und permanent notwendige Ausregelung des Außentemperatureinflusses auf das Gebäude. Was bei jeder anderen Gebäudenutzung praktisch nicht auffällig wird, kann bei einem Archivgebäude zu enormen Problemen führen. Selbst kurzzeitige Wärmeperioden erfordern die Kühlung, Kälteperioden die Beheizung - ein energiezehrendes Unterfangen. Die DIN ISO 11799 gießt diese hohen Anforderungen deshalb in konkrete Regeln. Sie fordert eine schnelle Reaktion auf kleinste Temperatur- und Feuchteveränderungen und schafft somit maximale Kontinuität.
Das ungewöhnliche Denken und Entwickeln individueller Lösungen
Kernelement des Energiekonzeptes ist ein Eisspeicher. Die Idee hierzu entstand durch die spezifische Situation am Bauort: Bad Cannstatt liegt im Quellenschutzgebiet und verfügt über wertvolle Heilwasservorkommen. Das machte die Nutzung geothermischer Energie mit Hilfe von Erdspießen unmöglich. Im Prozess des Planens – ganz typisch für das projektindividuelle Vorgehen der agn-Fachingenieure, die keine Standardlösung empfehlen, sondern immer standort-, nutzer- und projektspezifische Ansätze entwickeln – wurde die Möglichkeit einer Energiespeicherung diskutiert. Diese durfte weder zu große Energieverluste aufweisen, noch das Grundwasser beeinträchtigen (also die sensible Tonschicht durchstechen) oder in die Nähe des wertvollen Heilwassers kommen. Für beide „Probleme“ – die sensible, schnelle und möglichst wenig energieträchtige Ausregelung der Außentemperatureinflüsse sowie die Distanz zum Heilwasser/Grundwasser – eignete sich die Lösung Eisspeicher. Der große Speicherbehälter liegt genau auf der separierenden Tonschicht und beeinträchtigt das Grund- und Heilwasser nicht, wie auch das Amt für Umweltschutz bei seinen hydrologischen Untersuchungen bestätigte. Ausschlaggebend für den Eisspeicher in Kombination mit den gasbetriebenden Absorber-Wärmepumpen war dann ein langwieriger Konzeptvergleich, um Ökologie und Ökonomie gleichermaßen günstig zu beeinflussen. Auch hier hat sich gezeigt, dass dies nur gelingt, wenn man sich der speziellen Aufgabe eines Gebäudes annimmt und versucht hier den Hebel anzusetzen. Alle anderen Ansätze konnten keinen auch nur annähernd wirtschaftlichen Betrieb erkennen lassen oder wurden den hohen Ansprüchen an den Betrieb nicht gerecht und mussten deshalb verworfen werden.
Das Prinzip des Eisspeichers
Diese technische Energiespeicherung ist unter dem Begriff des saisonalen Eisspeichers bekannt geworden. Die agn-Ingenieure nahmen dessen ursprüngliche Idee auf - Energie pendelt zwischen Sommer und Winter – und passten sie auf die speziellen Anforderungen des Archivs an, nämlich den sehr kurzfristigen, abwechselnden Bedarf von Wärme und Kälte. Kern dieser Technologie sind die gasbetriebenen Absorber-Wärmepumpen, die zur Beheizung des Gebäudes eingesetzt werden. Diese Wärme wird einem unterirdischen Wasserspeicher entzogen. Durch diesen Wärmeentzug gefriert das hier gelagerte Wasser komplett. Man speichert also Kälte, indem man gleichzeitig Wärme erzeugt. Diese Kälte steht dann unter geringstem Energie-Einsatz zur Verfügung um sämtliche Archivbereiche zu kühlen bzw. zu entfeuchten.
Eine Simulation der konkreten Verhältnisse, also des Zusammenspiels aus Kälte- und Wärmebedarf, ergab die optimale Auslegung des 400 m³ großen Eisspeichers. Durch dieses Konzept ist es möglich, alleine 35% des Kältebedarfs abzudecken und in der Gesamtheit den Primärenergiebedarf im Bereich der Wärme- und Kälteerzeugung um ca. 30 % zu senken.
Zusammenfassung
Auch hier hat sich gezeigt, dass eine Lösung immer nur individuell auf eine spezielle Fragestellung hin abgestimmt sein kann. Diverse alternativ untersuchte Methoden zeigten im Fall des Stadtarchivs keine Verbesserung von Ökologie und Ökonomie. Dagegen erwies sich der sehr spezielle Eisspeicher mit gasbetriebener Absorber-Wärmepumpe, für diese Aufgabe als wirtschaftlichste und energiesparendste Lösung.
Daten und Fakten
Leistungen: GeneralplanungBaubeginn: September 2008 Inbetriebnahme/Vorphase: Juli 2010Übergabe/Vollbetrieb: Januar 2011BGF: 12.000 m²Projektleitung Hochbau: Christoph Schmidt-Rhaesa Projektleitung Technik: Uwe BürgelBauleitung: Hans-Joachim MeuselGeschäftsführung Hochbau: Bernhard BuschGeschäftsführung Technik: Bernhard Bergjan
Aktuelle Ergebnisse, die Prämierungen aus den letzten beiden Jahren sowie die ausgelobten Verfahren in diesem Jahr inklusive Tipps zur Teilnahme finden Sie hier.