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StadtwohnenTilman Harlander (Herausgeber),400 Seiten mit 500 Abbildungen,DVA, München 2007,ISBN 978-3-421-03560-8, Bestellung grundsätzlich über den Buchhandel49,90 Euro
Rein – raus, raus – rein
Das Wohnen in der Stadt hat im Lauf der Geschichte mehrere gegenläufige Entwicklungen durchgemacht. Erst wollten im Mittelalter alle rein, denn Stadtluft machte "frei". Das Stadtrecht bot günstige Handelsbedingungen, Schutz vor Überfällen und den Rückhalt einer starken Gemeinschaft. Dadurch wurde es aber eng, schmutzig und ungemütlich feucht und alle wollten wieder raus, als die Städte im 19. Jahrhundert entfestigt wurden, also ihre Stadtmauern oder Festungsgürtel verloren. Das suburbane Umfeld bot Gärten für schnuckelige Gartenhäuschen und wuchs nach und nach zu noblen Villenvierteln heran.
Kommando retour hieß es infolge Gründerzeit, Belle Epoque, Jugendstil und roaring twenties: eine ausgesprochen großstadtverliebte Großbürgerkultur zelebrierte erst Fin de siècle und dann den Aufbruch in das vielversprechendste aller Jahrhunderte. Dieser ging allerdings mit dem Elend der Arbeiterquartiere einher, denn auch die Fabriken fanden hier ihre günstige Infrastruktur und die ehemalige Landbevölkerung somit Arbeit. Ungesund war’s nun wieder und unsittlich soll es zudem zugegangen sein.
Nach dem ersten großen zivilisatorischen Schock 1918 war sich die planende Zunft uneins: Die Reformarchitekten der traditionalistischen Moderne wollten raus und schufen mit idyllischen Gartenvorstädten dezentrale Strukturen. Die "klassische" Moderne dagegen blieb drin und boomte mit bejahender dynamischer Metropolenarchitektur oder wollte – wenn’s richtig schlimm war – im Kern alles platt machen und rational begradigt neubauen (fragt sich, was großstadtfeindlicher war...). Als dann bei uns nach 1945 sowieso alles platt war, machten die Modernen drinnen alles rational zum Arbeiten und draußen machten sie es einfach auch, als Trabantenstädte zum Schlafen. Das war nun gar keine gute Idee, denn die Menschen wollten dann noch weiter raus und suchten das eigenheimbezulagte und pendlerpauschalisierte Häuschen im Grünen.
Bei den Anderen (London, Paris) gingen Zulagen und Pauschalen an einer virulenten Schicht zorniger junger Männer vorbei, so dass es weder für drinnen noch draußen reicht. Also verwandeln die schlimmen Lümmel ihre verbannten Orte (banlieus) in verbrannte Orte, was man wohl als Zeichen deuten kann, dass sie wieder richtig rein und dabei sein wollen. Auch bei uns ist es vielen Braven draußen jetzt langweilig und sie möchten zunehmend wieder dorthin, wo der Bär tanzt.
Das war jetzt sicher vereinfacht dargestellt und vielleicht etwas salopp formuliert, aber man könnte in dieser Geschichte doch einen Prozess erkennen, der uns nicht als lineare Fortentwicklung auf ein einzig wahres und gutes Ziel hin erscheint, sondern als Pendelbewegung, die wohl einiger Wahrscheinlichkeit nach weiter so unentschlossen hin- und herschwankt. Was nicht heißen soll, man bräuchte sich nur entspannt zurückzulehnen und der Dinge harren, die da unweigerlich kommen und mehr oder weniger überraschend auch wieder gehen. Das Zeitenpendel schwingt so langsam hin und her, dass man reagieren muss und genug Gelegenheit hat, auf- und wieder abzubauen. Aber wird die Art und Weise, wie wir Städte bauen, den Trend der Wanderungsbewegungen überhaupt kanalisieren können? Oder werden Architekten immer nur Feuerwehr spielen können? Wie auch immer – wenn die letzten architektonischen Lösungsversuche wieder zu neuen Problemen und damit aktuellen Aufgaben geführt haben, dann liegt es nahe, sich alle bisherigen, also auch älteren Wohnkonzepte für die Stadt genauer anzuschauen und zu bewerten, um Strategien für bedarfsgerechtes Bauen zu entwickeln. Aus der Architekturgeschichte zu lernen, sollte dabei ausdrücklich bedeuten, früher begangene Fehler zu erkennen, um sie nicht zu wiederholen. Ebenso gilt es aber auch, die positiven Elemente der architektonischen Vergangenheit herauszufinden, um an sie anzuknüpfen. Denn die Europäer, die in die Städte streben, suchen dort schließlich etwas Bestimmtes, nein – vielleicht eher etwas Unbestimmtes, ein vages Idealbild einer liberalen Stadt voller Lebensqualität, das in der kollektiven Erinnerung verankert ist.
Die Wüstenrot Stiftung hat Fachleute zu diesem Thema forschen lassen und die Ergebnisse in dem Buch "Stadtwohnen" publiziert. Dessen Vorstellung und Diskussion erfolgte am 23. Januar 2008 im Haus der Architekten an einem gemeinsam mit der Architektenkammer Baden-Württemberg veranstalteten Abend. Warum tut die Wüstenrot Stiftung sowas? Warum die Kammer? Es lohnt sich immer, die Eigeninteressen zu vergegenwärtigen, um die Bewertungen bewerten zu können. Wir, die Architektenkammer, freuen uns immer, wenn im Ergebnis viel und fachlich grundiert gebaut werden muss – logo! Aber auch wenn wenig zu bauen und dieses nur schematisch zu planen wäre, wollten wir die Kammermitglieder darauf vorbereiten. Die Wüstenrot Stiftung freut sich wahrscheinlich insbesondere dann – auch wenn die Stiftung unabhängig von der Bausparkasse firmiert –, wenn Privatleute Wohneigentum bilden wollen und dieses Streben dann auch noch staatlich förderungswürdig erscheint. Da der Häuslesmarkt auf dem Land schwächelt, lenkt man die Aufmerksamkeit nun halt auf städtische Immobilien.
So erklärt sich die Konzentration des Buchs auf Projekte des wohlhabenden Bürgertums, das in seiner Wohnortwahl freier war und die Mittel hatte, Eigentum zu bilden. Es bietet daher auch keine kritisch-objektive Überblicksdarstellung über alle Facetten des Wohnens in der Stadt, wie der Titel suggeriert, sondern präsentiert von vorne herein wohl als "gut" eingestufte Objekte, deren jeweilige Bewertung dann weitgehend positiv ausfällt.
Vor dem Hintergrund der Diskussion über Megacities einerseits und schrumpfende Städte andererseits, der Konversion ehemaligen Industrie-, Kasernen- und Bahngeländes sowie der allgemein vielbeschworenen Renaissance der Stadt passt das Buch gut in den Trend. Die Autoren präsentieren zu sechs Epochenkapiteln 30 Fallstudien, von denen die Hälfte im europäischen Ausland liegt. Die Zeitspanne reicht von italienischen Stadtrepubliken über Planstädte des Absolutismus und den Erweiterungen der Gründerzeit bis zu avantgardistischen Hochhäusern der Moderne und noch im Bau befindlichen aktuellen Projekten. Zur urbanen Vergleichbarkeit beschränken sich die Beispiele auf den Wachstumsradius der Städte bis zum Ersten Weltkrieg. Damit fallen die genossenschaftlich organisierten Gartenstädte und Arbeitersiedlungen leider heraus und es stellt sich die Frage nach der typologischen Legitimation: Kann man urbanes und suburbanes Bauen so streng trennen? Liefern die Gartenvorstadt in Mannheim oder die Siedlung Karlsuhe-Rüpurr kein Vorbild für städtisches Wohnen? Behagt einer Bausparkasse vielleicht das als geschäftsverderbend empfundene genossenschaftliche Eigentum nicht als Beispiel für zukünftige Finanzierungsweisen?
Doch die Autoren liefern auch eine Erklärung, weshalb in der Weimarer Republik hervorragender vorstädtischer Siedlungsbau geleistet wurde, während innovativer städtischer Wohnungsbau nur im Ausland stattfand: in Deutschland waren Eigentumswohnungen seit Einführung des BGB im Jahr 1900 und zwar bis 1951 schlichtweg verboten! Konflikten zwischen Mietern in sogenannten "Streithäusern" wurde schon im 19. Jahrhundert mit möglichst getrennten Treppenhäusern begegnet, bei selbstherrlichen Eigentümern schien wohl nicht einmal das hinreichend. So erfolgte eine Abkopplung Deutschlands von wichtigen Weiterentwicklungen bewährter Bautypen wie auch von Neuentwicklungen für neue Nutzergruppen. Auch im Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg konstatieren die Autoren noch eine spezifisch deutsche Innenstadtfeindlichkeit beim verkehrsgerechten Ausbau und uneingepassten Großprojekten.
Bei seiner Vorstellung im Haus der Architekten formulierte der Herausgeber Tilman Harlander mehrere Thesen zum aktuellen Geschehen: Er beobachtet einen Einwohnerzuwachs der Cities seit einer Trendwende 1999 und zwar auch in den "schrumpfenden" Städten. Der Abbau von Subventionen und veränderte Arbeitsmärkte, die dem klassischen Arbeitsrhythmus der Vorstadtfamilien entgegenstehen, haben den Suburbanisierungsprozess abgeschwächt. Angesichts des demographischen Wandels ist jedoch mit einem stabilen Weiterwachstum nicht zu rechnen, weshalb Aktivitäten der Kommunen und Experimente der Architekten gefordert seien. Angesichts dieser zivilgesellschaftlichen Herausforderung, die nicht nur Staat und Markt angehe, sei das Scheitern der vielversprechenden Werkbundsiedlung in München eine bittere Niederlage.
Bei der von Carmen Mundorff moderierten Podiumsdiskussion ging es zunächst um mögliche Vorbilder und Impulse. Professor Tilman Harlander verwies auf die Vorreiterrolle der Niederlande bei Reihenhäusern und Superblocks. Anstelle von Homogenität eines einzelnen als richtig auserkorenen Zukunftsmodells plädierte er für die gesellschaftlichen Unterschiede, deren Vielfalt wir aushalten müssten: "Wir werden weniger, älter und bunter". Richtige Urbanität entstehe zudem erst durch das Miteinander verschiedener historischer Schichten. Der Geschäftsführer der Wüstenrot Stiftung, Georg Adlbert, verwahrte sich gegen die Vorstellung, die Eigenheimzulage verursache nur suburbanes Bauen, vielmehr komme sie sogar häufiger bei städtischen Projekten zum Einsatz. In einem aufrüttelnden Rundumschlag beklagte er, dass aus der Architektenschaft keine Antworten für familienfreundliches Wohnen im urbanen Kontext kämen. Außerdem sieht er keine Strategie der Kommunen und zu wenig Aktivität hinsichtlich Bodenvorratspolitik, Baulandmobilisierung und Subvention des sozialen Wohnungsbaus. Überhaupt hätten die Menschen veraltete Idealbilder von der Stadt im Kopf, die verändert werden müssten. So könnte man auch durchaus Mittelstädte verdichten. Während der Investor Ronald Klein-Knott solche Defizite in München oder Berlin bestätigt fand, sah er positive Beispiele in Leipzig. Präsident Wolfgang Riehle erkannte ein Problem im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage. Experimente machten keinen Sinn, wo keine Bereitschaft der Nutzer dazu bestehe. Auch sei die Betreuungsintensität für Architekten oft zu hoch, um sich im Wohnungsbau zu engagieren. Das neue Buch ist für ihn auf jeden Fall ein Standardwerk. Harlander bestätigte schließlich die Zentralität der Baulandfrage: der Preis sei elementar. Speziell für niedere Einkommen erfordern die ansonsten unfinanzierbaren Kosten hohe Subventionen.
Marc Hirschfell