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Nicht erst Covid-19 hat flexibles und mobiles Arbeiten zum Schlagwort der Stunde gemacht. Bereits zuvor war der Trend zu einer sich verändernden Arbeitswelt klar erkennbar. Bedürfnisse nach zeitlicher Autonomie, agilen Arbeitsmethoden, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und einer gesunden Work-Life-Balance zeichnen sich seit Längerem ab. Diese und weitere Aspekte führen zunehmend zur Ausgestaltung neuer Arbeitswelten: Co-Working und Co-Living-Spaces, Virtual Work, Digital Village oder Urbane Fabriken – alles Szenarien für das zukünftige Arbeiten.
Die Begriffe deuten es bereits an: Architektinnen und Architekten sind auf allen Maßstabsebenen von diesen Trends betroffen und haben die Chance, den Veränderungen räumlich Gestalt zu verleihen. Unternehmensstandortentwicklung ist heute genauso wie die Raum-/Stadtplanung in einen Kontext neuer Fragestellungen und Entwicklungen eingebunden: Gewerbegebiete werden zu Wissensquartieren, die Fabrik entsteht nicht länger am Ortsrand, sondern wird in gemischte Wohn-/ Industriezonen integriert und am Arbeitsplatz gewinnt der Ort der Kommunikation Bedeutung. Die Veränderungen der Arbeitswelt bedingen die Metamorphose regionaler Strukturen und Räume. Der Beginn eines Strukturwandels zeichnet sich ab und mündet in neuen Leitbildern - beispielsweise der produktiven Stadt - die jedoch nicht klar umrissen sind, sondern vielmehr als Suchbilder verstanden werden müssen.
Die Strategiegruppe Neue Arbeitswelten hat es sich zur Aufgabe gemacht, die vielfältigen Transformationsprozesse, die der Begriff New Work umreist, aufzuspüren, ihre Implikationen für den Berufsstand der Architekt:innen zu durchdenken und das Suchbild der produktiven Stadt zu kartographieren. Über erste Erkenntnisse und Überlegungen sprechen die fünf Mitglieder der Strategiegruppe Claudia Georgius, Andreas Grube, Britta Hüttenhain, Jörn Wächtler und Markus Weismann
Neue Arbeitswelten – so der Titel: Was ist das NEUE? Was zeichnet das zukünftige Arbeiten aus? Welche Transformationen stufen Sie als wesentlich ein?
Britta Hüttenhain: Mit dem Begriff der neuen Arbeitswelt verbinden viele vermutlich Bilder moderner, offen-gestalteter Büros in einem attraktiven Umfeld. Aber das NEUE ist so viel mehr: Mit dem Wandel der Arbeit verändern sich nicht nur die Büros oder die Architektur, sondern auch die Stadt. Wir müssen Mobilität und Logistik genauso wie Ver- und Entsorgung neu denken; der öffentliche Raum und das soziale Miteinander spielen in der heutigen und zukünftigen Arbeitswelt eine ganz neue Rolle.
Markus Weismann: Die Arbeit im heute und morgen findet nicht mehr im altbewährten Bürogebäude und an klassischen Arbeitsorten statt. Öffentliche Stadträume und private Gewerbeflächen rücken zusammen, Wohnen und Arbeiten, aber auch Kultur und Begegnung überlagern sich im Quartier. Das Arbeiten lässt sich nicht länger einem isolierten und klar definierten Ort zuordnen und von anderen Bestandteilen des Lebens trennen. Diese Entwicklung scheint auch daher zu rühren, dass Innovation das Andere, das Fremde und die Zusammenarbeit benötigt. Das Ziel der innovativen Arbeit lässt sich also besonders gut in Räumen des Co-Working und der Co-Kreation erreichen – Raum für Austausch hat plötzlich Priorität.
Claudia Georgius: Allerdings: Nicht nur die Arbeitswelten – d.h. die Räume, in denen sich Arbeit vollzieht – verändern sich, sondern auch die Ansprüche, die die Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer an die eigene Tätigkeit stellen. Mittlerweile spielen Faktoren wie Nachhaltigkeit, Gesundheit, Flexibilität und Familienorientierung eine wichtige Rolle. Der Mensch steht im Mittelpunkt, und zwar nicht als ausschließlich produktives bzw. produzierendes Wesen, sondern als Person mit Interessen jenseits des nine-to-five.
Jörn Wächtler: Diese Veränderungen sind interdependent, wirken wechselseitig aufeinander zurück und münden darin, dass auch der Arbeitgeber heute anders denken, planen, motivieren muss. Und das weit über das Gestalterische hinaus: Wir müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ernst nehmen, wir müssen in die Menschen hineinhören, ihre Forderungen verstehen, Bedarfe und Bedürfnisse ganz neu bestimmen und zufriedenstellen.
Sie schauen auf diese Phänomene als Architektin oder Architekt. Welche Herausforderungen und Chancen gehen für Sie und Ihren Berufsstand mit den Neuerungen einher? Was bedeuten „neue Arbeitswelten“ für Sie als Architekt:innen?
Andreas Grube: Ganz allgemein verändern sich mit den räumlichen Arbeitswelten auch das Aufgabenspektrum desjenigen und der Anspruch an denjenigen, der diesen Raum zu planen und gestalten hat. Als Architekt oder Stadtplaner bin ich mit ganz neuen Aufgaben und Wünschen konfrontiert, eine neue Komplexität ist zu erkennen, Schnittstellen sind zu beachten, die früher nicht da waren. Das ist eine große Chance – aber eben auch Herausforderung.
Markus Weismann: Spannend wird es für uns, wenn wir fragen: Wie verändert sich die Stadt, wenn sich das Arbeiten verändert? Wenn Arbeiten, kulturelles Erleben und Wohnen räumlich zusammentreffen, dann prallen auch unterschiedliche Perspektiven und Erwartungen aufeinander. Während das wirtschaftliche Unternehmen konkrete Renditevorstellungen hat, orientiert sich die kommunale Verwaltung am Gemeinwohl – sobald also Orte von beiden oder weiteren Akteuren gemeinsam gestaltet werden, müssen Vorstellungen gegeneinander ausgelotet und Interessen miteinander verknüpft werden. Das bedeutet auch für die Planungsprozesse Neuerungen – letztlich kann nur mit den involvierten Akteuren gemeinsam organisiert und gesteuert werden. Es geht um die Verzahnung und Orchestrierung von Beteiligung und Planung, um der wachsenden Komplexität Rechnung zu zollen. Man kann lebendige Begegnungsorte nicht still für sich planen und dann den Bau der Bevölkerung übergeben, vielmehr müssen die Menschen von Beginn an gemeinsam über das Projekt streiten. Deshalb müssen wir auch über Auslobungen und Wettbewerbsverfahren diskutieren, sie stärker öffnen und interdisziplinärer anlegen.
Claudia Georgius: Das klingt zwar nach langwierigen Prozessen, aber hierin liegen auch die Chancen, insofern als Innovationen bereits früh im Dialog entstehen und die Bedürfnisse der Menschen, um die es geht, einfacher integriert werden können. Wirtschaftlich gesehen ist diese Planung nachhaltiger, weil demokratisch modellierte Orte besser angenommen werden. Aber – und so landen wir wieder bei Andreas Grube Eingangsbemerkung – für die planende Architektin bedeutet das auch die Herausforderung, neue Planungsverfahren zu ermöglichen. Wenn es gelingt, beteiligte Akteure, Nutzer und vor allem auch die fachliche Expertise frühzeitig in die Planung miteinzubinden, kann passgenauer geplant werden und Vorhaben können auf allen Ebenen nachhaltig erfolgreicher umgesetzt werden.
Britta Hüttenhain: Dazu gehört auch, den rechtlichen und verwaltungstechnischen Status-Quo zu hinterfragen, der sich vielerorts als Hürde in den Weg zu neuen Arbeitswelten stellt. Auch hier braucht es ein neues Verständnis und Mut zu kooperativen und kreativen Lösungen, damit beispielsweise untergenutzte Gewerbegebiete zu produktiven Arbeitsquartieren weiterentwickelt werden können, die mit der umgebenden Stadt wieder vernetzt werden, statt durch Zäune abgetrennt zu sein.
Nicht zuletzt die Pandemie hat den Arbeitsort digitalisiert, der Technologiewandel prägt das neue Arbeiten. Doch wie tut er das konkret und welche Auswirkungen hat das wiederum auf das Planen und Bauen?
Britta Hüttenhain: Das was jede:r Einzelne im Kleinen erlebt – digitale Videokonferenzen, statt Tagungen in Präsenz, um nur ein Beispiel zu nennen – führt zu deutlichen Veränderungen. Der Technologiewandel ist Nährboden und eröffnet einen Transformationsraum – und das ganz im physischen Sinne: Flächen(-reserven) entstehen und können plötzlich anders geplant und genutzt werden. Transportwege verändern sich, der stationäre Handel verlagert sich in den digitalen Raum und hinterlässt Lücken, die es neu und möglichst gemeinwohlorientiert zu bespielen gilt.
Jörn Wächtler: Daneben ist der Begriff des Technologiewandels – auch in seinen Konsequenzen – vielschichtig. Ein Beispiel: In der Arbeitswelt werden plötzlich andere Qualifikationen, IT-Kenntnisse etc. nachgefragt und unsere bisherigen Herangehensweisen grundlegend hinterfragt. Heute müssen wir Innovationen vorausdenken bzw. das zulassen, was wir noch gar nicht kennen. Gleichzeitig wird uns durch die digitale Arbeitsweise bewusst, dass auch der digitale Ort, physische Orte braucht und der arbeitende Mensch zur Identifikation physische Anknüpfungsmöglichkeiten verlangt.
Claudia Georgius: Vermutlich haben uns die letzten Monate etwas verdeutlicht, was uns davor unterbewusst klar war, aber wir in seiner Gewichtigkeit jetzt erst begreifen: Auch in unseren persönlichen Arbeitswelten brauchen wir soziale Identifikationsmöglichkeiten. Wir müssen ein gemeinschaftliches Band weben, das uns miteinander verbindet. Und dafür – trotz des proklamierten Technologiewandels – hat der digitale Raum noch keine als gleichwertig empfundenen Möglichkeiten geschaffen, deshalb geht der Trend mittlerweile ja klar zu hybriden Formaten, die digitalen und physischen Raum bzw. Austausch verknüpfen.
Stichwort Hybrides: Hybride Wissens- und Innovationsorte – so lautet eine Ihrer Diagnosen für die Zukunft. Doch wo finden wir solche und was zeichnet sie eigentlich aus?
Claudia Georgius: Lassen Sie uns große Unternehmen in den Blick nehmen. Auf dem Bosch-Campus für Forschung und Vorausentwicklung in Renningen gibt es ein schönes Beispiel. Hier finden wir eine Etage, die Platform 12, wo regelmäßig Künstlerinnen und Künstler als Artists in Residence ganz gezielt als Impulsgeber arbeiten. Ein Ort also für kreative Arbeitsprozesse, wo Künstler und Forscher sich gegenseitig inspirieren und an gemeinsamen Projekten arbeiten. So entstehen im Zusammenspiel der Akteure neue Ideen, bspw. nachhaltige Stadtoasen aus dem 3D-Drucker.
Markus Weismann: Auch im Bildungsbereich tut sich was. Ein faszinierendes Beispiel ist die Bibliothek in Aarhus, die bewusst als multifunktionaler, hybrider Ort angelegt ist: Hier werden alle Generationen angesprochen, offene Werkstätten laden zum Experimentieren ein, die lokalen Vereine haben hier Räumlichkeiten und Hochschulen ebenso. Es entstehen Räume der Vielfalt.
Jörn Wächtler: Was die Beispiele verbindet ist, dass unternehmerische Innovationsprozesse nicht länger abgeschottet hinter Mauern und innerhalb der Unternehmen stattfinden, sondern Innovation durch Austausch, durch Kommunikation, durch kreatives Miteinander entsteht. Unternehmen öffnen vielerorts ihre Räume für die Öffentlichkeit; Leute können hier Vorträgen lauschen oder in Werkstätten selbst Hand anlegen – und das mitten in der Stadt. Alle werden Teil eines Organismus und über Branchen, professionelle Hintergründe und individuelle Interessen hinweg, wird Wissen weitergegeben, entsteht Innovation – und alle profitieren wechselseitig voneinander.
Neben Technologiewandel und hybriden Wissens- bzw. Innovationsorten, diskutiert die Strategiegruppe das Phänomen der Neuen Arbeitswelten auch im Hinblick auf Rendite- und Gemeinwohlfragen, agile Planungsprozesse und neue innerstädtische Arbeitsorte. Die Diskussionen intern sowie mit externen Experten münden voraussichtlich in einen Archikon 2023 zu diesem Thema. Stay tuned.
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