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Interview mit Christian Gaus, Vorsitzender der Göppinger Architektenkammergruppe, über Auswirkungen der Corona-Krise auf seinen Berufsstand und das Alternativprogramm für den Tag der Architektur. Von Simon Scherrenbacher
Flexible Arbeitsplätze in Privathäusern fürs Homeoffice und kleinere Büros in Unternehmen sowie ein sinkender finanzieller Spielraum der Gemeinden für neue Kindergärten, Schulen und Feuerwehrhäuser: Auch für die Architekturbüros wird die Corona-Pandemie und ihre Folgen einige Veränderungen bringen, glaubt der Göppinger Kammergruppenvorsitzende Christian Gaus.
Herr Gaus, der Tag der Architektur am heutigen Samstag kann nicht wie gewohnt ablaufen. Was ist das Alternativprogramm? Wir stellen ja normalerweise immer eine Auswahl von öffentlichen, gewerblichen und privaten Bauvorhaben vor, die sonst nicht zugänglich sind. Wer sich anmeldet, kann mit einem Bus zu den Objekten fahren und sich diese von Architekten und Bauherren zeigen lassen. Das geht in diesem Jahr leider nicht. Dafür hat die Architektenkammer Baden-Württemberg (AKBW) vier Filme produziert, die zum Tag der Architektur am Samstag, 27. Juni, im Internet Premiere feiern. Sie zeigen beispielhaft, wie gute Stadtgestaltung aussehen kann.
Versuchen Sie damit auch ein jüngeres Publikum zu erreichen, um Baukultur zu vermitteln? Ich stelle immer wieder mit Entsetzen fest, dass die Architektur als Thema im Schulplan ziemlich unterbelichtet ist. Dabei verbringen wir 75 bis 80 Prozent unserer Lebenszeit in gebauten Räumen. Unser Büro ist Bildungspartner vom Hohenstaufen-Gymnasium, wir haben regelmäßig Schulklassen zu Gast. Außerdem gibt es das Projekt „Architektur macht Schule“ der AKBW. Es fördert die Architektur- und Baukulturvermittlung an Schulen.
Wie beurteilen Sie die vielen Bauprojekte in Göppingen? Verändert die Stadt zu schnell ihr Gesicht? Nein, endlich passiert etwas. Die Stadt hat in den vergangenen Jahren eine enorme Veränderung durchgemacht und erkannt, wie wichtig es ist, den öffentlichen Raum für die Menschen vielseitig nutzbar zu machen. Es ist heute kaum noch vorstellbar, dass auf dem Marktplatz einmal Autos und Busse gefahren sind. Auch der Schloss- und Kornhausplatz hat sich zum Positiven gewandelt. Der öffentliche Raum prägt die Stadt und ist Entwicklungsträger für Neues. Es ist viel passiert, das ist sehr zu begrüßen.
Und gleichzeitig steigt die Zahl der Leerstände in den Nebenstraßen. Das Stadtleben besteht nicht nur aus Handel. Es geht auch um Aufenthaltsfläche und um Wohnqualität, Monostrukturen sind der falsche Weg. Mit der richtigen Architektur, Stadt- und Freiraumplanung lässt sich dem entgegenwirken.
Die ehemalige Firma Boehringer hätte wohl nicht geahnt, dass in ihrem Verwaltungsgebäude sich einmal ein Architekturbüro befinden würde – nämlich Ihres. Die Architektur hat eine sehr hohe Haltbarkeit, die sich über mehrere Lebenszyklen erstrecken kann. An öffentlichen Plätzen können Gebäude durchaus 200 Jahre lang wirken. Wichtig ist, dass die Gebäude und deren Umfeld auf Veränderungen reagieren können, sowohl auf einen Nutzer- als auch einen Inhaltswechsel. Welche Bedeutung hat der Beruf des Architekten heutzutage? Menschen prägen Räume, aber Räume prägen auch Menschen. Es ist eine hohe Verantwortung, als Architekt zu arbeiten. Auf der anderen Seite kann es aber auch sehr erfüllend sein zu sehen, wie der Bauherr und der Nutzer oder die Kinder und Schüler ihr Gebäude nutzen und annehmen. Die Bauhaus-Architektur, die im vergangenen Jahr 100 Jahre alt wurde, nimmt gerade einen Aufschwung, weil viele damalige Entwicklungen wie etwa das vorgefertigte Bauen heute wieder hochinteressant werden. Unsere derzeitige Art des Bauens ist ja eigentlich nicht sehr fortschrittlich, weil dadurch sehr viel Arbeitskraft gebunden ist.
Wie konnten Sie sich als Vorsitzender der Architektenkammergruppe Göppingen für den Berufsstand einsetzen? Wir haben für unsere 350 Mitglieder in der Kammergruppe, zu denen sowohl Freiberufler als auch Angestellte gehören, nicht nur Fortbildungen und Seminare veranstaltet, sondern konnten auch hier vor Ort einiges bewirken und verändern, darauf sind wir stolz. So haben wir einen wesentlichen Anteil daran, dass Göppingen noch vor der Landeshauptstadt einen Gestaltungsbeirat ins Leben gerufen hat. Wir organisieren rund 30 öffentliche Veranstaltungen im Jahr.
Wie wird die Corona-Pandemie die Architektur verwandeln? Unsere Arbeitswelt hat sich dadurch mit einem Schlag verändert, wir arbeiten jetzt viel mehr zu Hause. Wir müssen deshalb Wohnen und Arbeiten näher zusammenbringen. Das heißt, die Arbeitszimmer werden größer und die Büros kleiner? Es kann durchaus soweit gehen, dass ein Unternehmen oder eine Kommune nicht mehr 100 Prozent, sondern vielleicht nur noch 60 Prozent ihrer Beschäftigten unterbringen muss.
Durch die wegbrechenden Gewerbesteuer-Einnahmen sinkt der finanzielle Spielraum für Kommunen. Dadurch werden auch die Investitionen der Gemeinde in Bauvorhaben zurückgehen. Wir Architekten fordern deshalb, dass auch die öffentliche Hand Konjunkturpakete erhält. Es gibt noch einen riesigen Nachholbedarf bei Kindergärten und Schulen, und es fehlen Millionen von Wohnungen. Der Anteil an der Wohnfläche liegt pro Kopf über 50 Quadratmeter. Das liegt aber auch daran, dass betagte Menschen häufig noch sehr lange allein im eigenen, großen Haus wohnen. Die Lösung besteht also in der Umnutzung, Verdichtung und vor allem in der Schaffung schlauer, flexibler Wohnkonzepte, die Generationen übergreifend funktionieren. Es gibt bereits gute Beispiele dafür. Wir können ja nicht unendlich Neubaugebiete erschließen.
Das würde auch zur Nachhaltigkeit in der Architektur beitragen. In den Bestandsgebäuden steckt sogenannte graue Energie: Wenn ich das Bestehende nicht niederreiße, sondern geschickt ergänze und mit Neuem kombiniere, kann ich es weiterverwenden. Mittlerweile gibt es aber auch Neubauten, die komplett aus wiederverwertetem Material bestehen. Auch bei Verbundbaustoffen etwa zur Wärmedämmung achtet man heute viel stärker darauf, wie sie sich entsorgen lassen. Darüber hinaus liegt der Holzbau gerade voll im Trend. Wir haben auf diese Weise schon vor 20 Jahren im Stauferpark die Konversionsfläche der US-Streitkräfte ergänzt und erweitert. Die Landesbauordnung gibt uns hier jetzt neue Möglichkeiten, wir können nun mit Holz zum Beispiel deutlich höher bauen als früher.
Info: Ab dem heutigen Samstag gibt es die Videos zum Tag der Architektur im Internet unter www.akbw.de/tag-der-architektur.html.
Zur Person Christian Gaus - Biographie:Mit Architektur kam Christian Gaus über seinen Vater, der ein Büro in Rechberghausen betrieb, schon früh in Kontakt. Diverse Museen- und Kirchenbesuche im Urlaub taten ihr Übriges, um ihn schon als Kind für sakrale Bauten zu begeistern. „Glaube und Raum“ war auch das Thema der Abschlussarbeit seines Studiums am Bauhaus in Dessau, das er nach dem Abitur am Hohenstaufen-Gymnasium in Göppingen 1992 absolvierte. Seit 20 Jahren arbeitet er als selbstständiger Architekt und führt sein eigenes Büro mit rund 20 Beschäftigten in Göppingen, das öffentliche Projekte wie Schulen, Kindergärten und Feuerwehrhäuser sowie Wohnungen, gewerbliche und privaten Bauprojekte plant. Darüber hinaus ist er seit zehn Jahren Vorsitzender der Architektenkammergruppe Göppingen die unter anderem den Tag der Architektur organisiert.