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Das Stuttgarter Terrassenhaus „Schnitz“hat ein bergendes Dach über 21 individuell gestalteten Terrassenwohnungen, die 21 ebenso individuellen Eigentümern gehören. Die Bauherrengemeinschaft, die das Haus nach dem Entwurf von Peter Faller und Hermann Schröder 1973/74 baute, bestand zunächst zu zwei Dritteln aus Architekten.
Das ist heute nicht mehr so, doch es zogen überwiegend Bewohner nach, die mit der Wohnidee des Hauses etwas anfangen konnten. Deshalb bestand auch eine Chance für das Projekt, das Haus nach 37 Lebensjahren mit einer Solaranlage baulich und energetisch weiterzuentwickeln.Die Eigentümer entschieden sich nach ausführlicher Diskussion im Sommer 2009 für eine breit angelegte Machbarkeitsstudie, in der die möglichen alternativen Lösungen solarer Energiegewinnung auf der obersten Ebene der unter 45° geneigten und ca. 55m langen Dachfläche der Südostseite abgeprüft werden sollten.Ein Jahr nach der ersten Befassung wurde der Eigentümerversammlung das Ergebnis vorgetragen. Eine solarthermische Ergänzung der Heizung und Warmwassererzeugung schied aus. Das Gebäude ist an eine Fernwärmeversorgung angeschlossen, beide Systeme sind schwer kompatibel, doch letztlich entscheidend war die bauliche Schwierigkeit der Führung der erforderlichen Rohrsysteme durch das komplexe Baugefüge und die gestalterische Unverträglichkeit der angebotenen Systeme. Bei der Fotovoltaik hingegen bietet der Markt inzwischen breiter gefächerte Elementbaukästen auch für unkonventionelle Lösungen, die auch bei denkmalgeschützten Gebäuden anwendbar sind.
Da das Haus seit seiner Entstehungszeit zur Gänze mit asbesthaltigen Dachplatten eingedeckt war, musste eine Lösung gefunden werden, die gleichzeitig den Einstieg in den Ersatz der alten Dachdeckung ermöglichte. Ausgewählt wurde ein System aus Glattziegeln mit integrierbaren Solarmodulen, das in Maßstäblichkeit und Schuppung dem bestehenden Bild entsprach und mit seinen Detaillösungen eine Einpassung in die sensibel geschnittene Dachlandschaft ermöglichte. Ein günstig positionierter nicht genutzter Kamin bot die Gelegenheit zur brandsicheren Führung der mit hochvoltigem Gleichstrom belegten Leitungen.Verfahrensmäßig ergaben sich zunächst keine Probleme. Die Maßnahme wurde planungs- und baurechtlich als genehmigungsfrei beschieden; das Gebäude war zu dem Zeitpunkt noch nicht unter Denkmalschutz gestellt.
Die Einspeisegenehmigung wurde vom örtlichen Stromversorgungsunternehmen anstandslos erteilt. Ein grundsätzlich sinnvoller teilweiser Eigenverbrauch der 21 Haushalte wäre mit 21 Zählern und unterschiedlichen Stromlieferanten fast unlösbar kompliziert geworden. Auf dieser Grundlage erging der notwendige aber gar nicht selbstverständliche einstimmige Baubeschluss.Die Gesamtbaukosten teilen sich etwa hälftig in die Kosten der Solaranlage und der Dacherneuerung. Die Durchführung und wirtschaftliche Betreuung lag dann in den Händen des Verwalters, mit dem die Eigentümergemeinschaft seit Anbeginn zusammenarbeitet. Mitte Oktober 2010 ging „Solar-Schnitz“ zu den damals gültigen Konditionen der Bezuschussung ans Netz. Die Anlage hat nach Planungswerten eine maximale Leistung von 10,20 KWp (peak=Spitze) und sollte nach Prognose knapp 10.000 KWh/Jahr als Stromertrag einspeisen können. Die gesetzliche Förderungszeit beträgt 20 Jahre, eine Refinanzierung der Anlagekosten ist in ca. 15 Jahren erreichbar. Die zugesicherte wirtschaftliche Nutzungsdauer beträgt 25 Jahre. Heute nach einer Betriebsdauer von eineinhalb Jahren zeigt sich bei normaler Sonnenausbeute, dass die Prognose im Schnitt um 10 Prozent übertroffen wird.
Verfahrensprobleme stellten sich erst mit der erforderlichen steuerlichen Anmeldung und der damit verbundenen Wahl der Rechtsform für den Stromproduzenten „Solar-Schnitz“ ein. Die Finanzbehörde tat sich mit der ungewohnten Eigentümergemeinschaft schwer. Es bedurfte der zusätzlichen Einschaltung findiger Steuerfachleute, bis nach insgesamt acht Monaten eine Lösung gefunden war und eine Steuernummer erteilt werden konnte. Das Ganze war wohl auch für die Ämter ein Pilotverfahren, denn schließlich erkannte man, dass eine einfache Beschlussfassung der Eigentümergemeinschaft genügt hätte, ein Gesellschaftervertrag nicht nötig war. Trotz der Begeisterung für eine ökologische und sparsamere Energiebilanz des Hauses kann man mit einer solchen Baumaßnahme durch die dem Gebäude hinzugefügte Solaranlage viel gestalterischen Schaden anrichten. Deshalb sollte sorgsam geplant und nicht grundsätzlich zur preisgünstigsten technischen Lösung gegriffen werden. Davon muss eine größere Eigentümergemeinschaft erst einmal überzeugt sein und danach in den Erfolg des Planungs- und Bauprozesses einiges Engagement investieren.
Hans-Werner Liebert