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Nach der Entscheidung des EuGH über die Verbindlichkeit der Mindest- und Höchstsätze ist völlig umstritten, ob das Urteil unmittelbar Anwendung findet oder erst nach einer HOAI-Änderung gilt.
Als in Luxemburg am 4. Juli 2019 der Europäische Gerichtshof (EuGH) über die Verbindlichkeit der Mindest- und Höchstsätze der HOAI entschied (C-377/17), ging ein Verfahren zu Ende, dass im Juni 2015 seinen Anfang nahm. Denn am 18. Juni 2015 informierte die Europäische Kommission darüber, dass sie ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet hatte. Die verbindlichen Mindestpreise, so damals die Kommission, würden gegen die europäische Dienstleistungsrichtlinie verstoßen. Gute vier Jahre später bestätigten die Richter in Luxemburg zwar diese Bewertung, begründeten die Entscheidung dann aber doch sichtbar anders als die Kommission vorhersah. Der EuGH ließ es offen, ob Mindestsätze generell gegen das EU-Recht verstießen. Er rügte eine Widersprüchlichkeit des deutschen Gesetzgebers: Wer die HOAI-Mindestsätze aus Qualitätsgründen rechtfertigt, muss auch bei der fachlichen Eignung die Qualität prüfen. Dies geschieht aber nach Ansicht des EuGH nicht. Diese Widersprüchlichkeit reichte dem EuGH, um einen Verstoß gegen das Europarecht festzustellen.
Wirtschaftsministerium und OLG Celle: Keine Mindestsätze mehr
Noch am 4. Juli 2019 unterrichtete das für die HOAI zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Energie über die konkreten Folgen der Entscheidung. Nach Ansicht des Ministeriums sind die öffentlichen Stellen in Deutschland aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts verpflichtet, „ab sofort die für europarechtswidrig erklärten Regelungen der HOAI nicht mehr anzuwenden.“
Keine zwei Wochen später entschied das erste Gericht über einen Fall, in dem die Entscheidung des EuGH zum Tragen kam. Das Oberlandesgericht (OLG) Celle (Urt. v. 17.07.2019 – 14 U 188/18) hatte sich mit einer sogenannten Aufstockungsklage zu beschäftigen. Unter diesem Begriff wird neuerdings die Klage eines Planers verstanden, der die Zahlung des Mindestsatzes vom Bauherren fordert mit dem eine Vergütung unterhalb der Mindestsätze vereinbart war. Die HOAI war bislang verbindliches Preisrecht. Vereinbarten die Parteien eine Vergütung unterhalb der HOAI, war dies in der Regel unzulässig. Der Planer konnte sich im Nachgang auf Zahlung des Mindestsatzes berufen und somit die ursprünglich-vereinbarte Forderung „aufstocken“. Nur in Ausnahmefällen ließen es die Gerichte zu, dass eine Vereinbarung unter Verletzung des Preisrechts erlaubt war. Das OLG Celle entschied nun, dass dieser Schutzmechanismus durch die Entscheidung des EuGH weggebrochen ist. Zudem kam es zum Ergebnis, dass die Entscheidung des EuGH auch in laufenden Verfahren umzusetzen sei. Die Gerichte wären verpflichtet, die für europarechtswidrig erklärten Regelungen der HOAI nicht mehr anzuwenden. „Infolge der EuGH-Entscheidung vom 04.07.2019 ist es von Rechts wegen nicht mehr zulässig“, so das OLG Celle, „getroffene Honorarvereinbarungen an den Mindest- und Höchstsätzen der HOAI zu messen.“ Das OLG Celle wiederholte in zwei weiteren Entscheidungen seine Rechtsauffassung und konkretisierte dort seine Begründung (Urt. v. 23.07.2019 – 5 O 307/17; Urt. v. 14.08.2019 – 14 U 198/18).
OLG Hamm und Kammergericht: Mindestsätze gelten weiter
Wer dachte, dass damit alles geklärt wäre, sollte schnell eines Besseren belehrt werden. Denn das OLG Hamm, das einen ähnlichen Fall zu entscheiden hatte, kam zu einem ganz anderen Ergebnis (Urt. v. 23.07.2019 – 21 U 24/18). Die Richter aus Hamm erklärten, dass die maßgeblichen Bestimmungen der HOAI, „auch zum Mindestpreischarakter“, weiter anzuwenden sind. Daran ändere auch die Entscheidung des EuGH nichts. Denn: Das Urteil des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren binde nämlich nur den Mitgliedsstaat. Für den einzelnen Unionsbürger gehe von dem Urteil keine Rechtswirkung aus. Die Entscheidung des OLG Hamm löste unter den Juristen große Diskussionen aus: Was gilt denn nun: Findet eine Entscheidung des EuGH unmittelbare Anwendung oder nicht? Als drittes Gericht meldete sich das Kammergericht (KG) aus Berlin zu Wort (Beschl. v. 19.08.2019 – 21 U 20/19). In einer sehr ausführlichen Entscheidungsbegründung folgte das KG dem OLG Hamm: „In Zivilrechtsstreitigkeiten zwischen Parteien gilt das Mindestpreisgebot fort,“ so das KG. Für Bauherrn und Planer ist die Situation mehr als unbefriedigend. Hamm oder Celle – je nachdem, wo der Kläger wohnt, kann er sich auf den Mindestsatz als verbindliches Preisrecht berufen oder nicht.
Auch unter Rechtsanwälten wird die Entscheidung kontrovers diskutiert, und es wird nach Lösungen der Streitlage gesucht. „Eskalierender Streit über Architektenvergütung“ betitelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (v. 23.08.2019, S. 13) einen Artikel des Hamburger Rechtsanwalts Friedrich-Karl Scholtissek. Scholtissek lässt durchblicken, dass er eher der Ansicht des OLG Celle folgt, erklärt aber auch: „Für die Praxis bleibt derzeit Rechtsunsicherheit.“ Weiter rät er: „Jeder Schritt – ob außergerichtlich oder gerichtlich – in Honorarkonflikten will daher sowohl planer- wie auch bauherrenseitig gut überlegt sein.“
Der Stuttgarter Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht Karsten Meurer vertritt die Auffassung des OLG Hamm, wonach die EuGH-Entscheidung keine Anwendung findet. Entsprechend veröffentlichte er Anfang August einen Artikel im renommierten Onlinedienst IBR unter der Überschrift „Die HOAI ist immer noch wirksam!“. Meurer rät: „Die Schwierigkeiten einer Planungsaufgabe zeigen sich in der Regel erst nach Abstimmung der Zielvorstellungen mit dem Auftraggeber. Deswegen ist es sinnvoll, vertraglich zu vereinbaren, dass die endgültige Honorarvereinbarung nach HOAI 2013 erst nach Abschluss der Vorplanung ggf. der Entwurfsplanung getroffen wird. Bis dahin kann nur eine vorläufige Einschätzung, der Honorarparameter, auf deren Basis die Leistungen vergütet werden, abgegeben werden. Sollten sich die Parteien nicht über die Honorierung einig werden, wird die vertragliche Zusammenarbeit beendet und dem Bauherrn untersagt die Planung weiterhin zu nutzen“.
Rechtssicherheit ist aber absehbar: Die drei Gerichte ließen jeweils Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zu, sodass endgültig in Karlsruhe die Fallfrage entschieden werden muss. Skurril ist nicht nur für Nicht-Juristen, dass eine solche Frage nach der unmittelbaren Geltung einer EuGH-Entscheidung nicht vorab eindeutig geklärt ist und es hier keine eindeutigen Aussagen gibt.
Vergaberechtliche Probleme
Nicht abschließend geklärt ist zudem, wie die Entscheidung des EuGH vom öffentlichen Auftraggeber im Vergaberecht anzuwenden ist. Thomas Pfeiffer, Rechtsanwalt aus Hannover, schreibt auf IBR unter „HOAI: Wo stehen wir?“, dass alle nationalen Behörden dazu verpflichtet sind, rechtskräftig für europarechtswidrig erklärte staatliche Normen nicht mehr anzuwenden. Dieses Anwendungsverbot richte sich an alle Stellen der öffentlichen Verwaltung, so Pfeiffer. Genau so sei auch das anfangs erwähnte Schreiben des Bundeswirtschaftsministeriums zu verstehen, das sich explizit an die „öffentlichen Stellen“ richte. Pfeiffers Ergebnis sieht so aus: Der öffentliche Auftraggeber darf die verbindlichen Honorarsätze nicht mehr anwenden, der Private darf sich grundsätzlich weiter auf sie berufen. „Die Rechtslage ist hier asymmetrisch“, so Pfeiffer in seinem aktuellen Rechtsbeitrag.
Zwischenzeitlich hat sich mit einem Hinweisschreiben vom 5. August 2019 das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat zu Wort gemeldet und über die Auswirkungen der Entscheidung auf die „Richtlinien für die Durchführung von Bauaufgaben des Bundes (RBBau)“ informiert. Die RBBau-Verträge sind Muster-Verträge. Das Innenministerium teilt in seinem Schreiben mit, dass bei der Vergabe von Planungsleistungen Angebote nicht aus dem Grund ausgeschlossen werden dürften, weil sie Mindesthonorarsätze unter- oder Höchsthonorarsätze überschreiten. Es weist zugleich darauf hin, dass im Vergaberecht für Planerleistungen nach wie vor der Leistungswettbewerb gelte und nicht der Preiswettbewerb. Ungewöhnlich niedrige Angebote müssten aufgeklärt werden. Wie aber kann ein Leistungswettbewerb ohne HOAI-Preiskorridor erfolgen?
Die Aufklärungspflicht des öffentlichen Auftraggebers bei ungewöhnlich niedrigen Angeboten ergibt sich aus § 60 Vergabeverordnung (VgV). Ziel der Vorschrift ist es, dass der öffentliche Auftraggeber vor Schlechtleistungen geschützt wird. Planerleistungen sind die einzigen Leistungen im Vergaberecht für die der Leistungswettbewerb gilt, nicht der Preiswettbewerb. Insofern spricht viel dafür, dass weiterhin Planerleistungen unterhalb der HOAI-Mindestsätze unzulässig sind, weil sie dem Gedanken des Leistungswettbewerbs widersprechen und zu einem Preiswettbewerb führen. Vergabestellen müssen sich daher gut überlegen, ob sie Leistungen unterhalb der HOAI beauftragen können und wollen. Neben der Frage, ob dies überhaupt vergaberechtlich zulässig ist, wird bei Mängeln die Verantwortung auch beim Auftraggeber und seiner Vergabeentscheidung zu sehen sein.
Die Entscheidung des EuGH liegt nach vier Jahren zwar nun vor, mit ihr aber sind viele Fragen offen. Es wird noch eine Weile dauern, bis es verbindliche Antworten gibt.