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Im kommenden Jahr stehen Kommunalwahlen an, aber auch stadtplanerische Weichenstellungen, die das Bild von Stuttgart für lange Zeit prägen werden: Ein großer internationaler Wettbewerb läuft gerade zum Stadtteil Rosenstein, für Kulturmeile und B14 wird einer vorbereitet. Über die Erneuerung des Opernhauses sowie Standort und Charakter einer Interimseinrichtung muss entschieden werden. Weitere Kulturprojekte sind angekündigt: Filmhaus, Konzerthalle, Kongresszentrum, Lindenmuseum, Öffnung des Neuen Schlosses.
Über diese Vorhaben wird in Politik und Öffentlichkeit eifrig diskutiert. Bei der Aufstellung von Programmen und Standortkriterien geht es aber vor Allem um Wirtschaftlichkeit und die Verfügbarkeit von Grundstücken. Zusammenhänge mit der Gesamtentwicklung der Stadt und den langfristigen Perspektiven der verschiedenen Einrichtungen werden kaum hergestellt. So kam es, dass das Paketpostamt am Rosensteinpark nach jahrelanger Suche zum idealen Standort für ein Operninterim ausgerufen und wenige Monate später als wirtschaftlich völlig indiskutabel wieder verworfen wurde. Nach weiteren drei Monaten erklärt dann eine "Task Force" unter Leitung des Oberbürgermeisters den Bereich vor der Wagenhalle am Nordbahnhof zum alternativlosen Interimsstandort - mitten im laufenden Wettbewerb, bei dem genau auf dieser Fläche innovative Ansätze für die soziokulturelle Entwicklung des Stadtteils Rosenstein gesucht werden.
Vor öffentlichen Investitionen im hohen dreistelligen Millionenbereich müssten doch ganz andere Fragen im Mittelpunkt stehen: Welches städtische Umfeld würde einer bestimmten Einrichtung besonders gut tun, wo könnte sie am meisten von dem profitieren, was in ihrer Umgebung stattfindet? Und umgekehrt: Wo könnte die Einrichtung eine gewünschte städtebauliche Entwicklung anstoßen und voranbringen? Um solche Fragen zu beantworten, bräuchte es allerdings konkrete Vorstellungen davon, wie und wohin sich die Stadt überhaupt langfristig entwickeln soll.
Stuttgart hat schon vor 15 Jahren ein gesamtstädtisches Stadtentwicklungskonzept (STEK) erarbeitet. Es wurde aber nie offiziell vom Gemeinderat bestätigt und trat als Richtschnur für städtebauliche Richtungsentscheidungen kaum in Erscheinung. Stadtplanung betreibt man in Stuttgart lieber kurzfristig und pragmatisch, je nach Notwendigkeit und Machbarkeit. Vor allem in der Kommunalpolitik gab es immer eine große Scheu vor umfassenden städtebaulichen Konzepten und der Festlegung auf langfristige Ziele. Man wolle offen bleiben für unvorhersehbare Entwicklungen, sich verändernde Wünsche und Vorstellungen. In Wirklichkeit macht es diese Haltung vor allem Großinvestoren leicht, ihre Agenda durchzusetzen, weil man keine eigenen Konzepte hat, die man entgegenstellen könnte. Außerdem besteht die große Gefahr, mit kurzfristig sinnvoll erscheinenden Entscheidungen langfristige Chancen zu verbauen: Sind die ersehnte Konzerthalle oder das neue Lindenmuseum erst mal am falschen Standort entstanden, können sie nie mehr an anderer Stelle zum Impulsgeber werden. Nach anfänglichen Zweifeln hat Stuttgart mit der Ausrichtung der IBA 2027 StadtRegion Stuttgart den Anspruch postuliert, wegweisende bauliche Konzepte umsetzen und "Avantgarde" werden zu wollen. Aber auch dieses internationale Event würde wirkungslos verpuffen ohne langfristige Entwicklungsperspektiven für die Gesamtstadt. Allmählich beginnt man, das Problem zu erkennen. Selbst aus dem Gemeinderat heraus wird eine "Vision für Stuttgart" gefordert, eine große Erzählung, für die sich die Stadtgesellschaft begeistern könnte.
Als Stuttgart Anfang des 19. Jahrhunderts Königsresidenz wurde, entwarf Nicolaus Thouret ein wegweisendes Konzept für eine Parkanlage vom Neuen Schloss bis zum Neckar. Der König schrieb unter den Plan "so soll es seyn!" und ein Jahr später wurden die Anlagen der Öffentlichkeit übergeben. Diese Zeiten genialer Stadtbaumeister und alleinentscheidender Potentaten sind nicht nur in Stuttgart vorbei. Unsere Welt ist zu komplex, unsere Probleme zu groß und unsere Gesellschaften viel zu emanzipiert. Heute sucht man nach einer "Stadtplanung von unten", bei der sich die ganze Stadtgesellschaft engagieren kann und in deren Ergebnis sie sich wiederfindet. Wir wissen mittlerweile, dass Stadtentwicklung ein offener, dynamischer Prozess ist und Städte nie zu Ende gebaut sind. Die Bedingungen und die Ziele ihrer Entwicklung sind permanenten Veränderungen unterworfen. Dieser Dynamik muss ein tragfähiges Stadtentwicklungskonzept entsprechen. Pläne, Diskussions- und Arbeitsformate müssen offen und veränderbar angelegt sein. Trotzdem muss ein Stadtentwicklungskonzept auch eine klare, räumlich definierte Vorstellung davon vermitteln, wie die Stadt in Zukunft funktionieren und aussehen sollte. Dazu braucht es, genau wie zu Tourets Zeit, Menschen, die versuchen, ein Bild von dem zu machen, wie "es sein soll". Es braucht Fachleute, die gelernt haben, das Potenzial eines Ortes, einer Situation, einer sozialen Idee, sichtbar zu machen. Auch eine kritische Stadtgesellschaft kann man mit fachlich fundierten und zukunftsweisenden Visionen überzeugen und sogar begeistern!
Solche Visionen können allerdings nur entstehen, wo frei gedacht wird, und diese Freiheit des Denkens ist in Architektur und Städtebau keineswegs selbstverständlich: Gerade in unseren, liberalen Demokratien gibt es jede Menge planerische Restriktionen, die meisten absolut legitim und wohlbegründet. Diese verkehrstechnischen, ökologischen, klimatologischen, ökonomischen oder sozialpolitischen Sachzwänge verstellen uns oft den Blick auf das Ganze einer Stadt. Planungsvorgaben aus Fachämtern werden dann unhinterfragt übernommen, ganzheitliche, langfristig tragfähige Denkansätze gar nicht erst diskutiert. Stadtentwicklung braucht aber ergebnisoffene Debatten über alternative Szenarien und sie braucht den Mut, Neues, in normativen Vorgaben noch nicht Vorgesehenes, zu wagen.
Stuttgart braucht einen dynamischen Masterplan für die Gesamtstadt. Er muss permanent im offenen Dialog von Verwaltung, Politik und (Fach-)Öffentlichkeit weiterentwickelt und mit den Entwicklungskonzepten der umliegenden Städte abgestimmt werden. Natürlich kosten variantenreiche Planungen, Beteiligungsformate, Veranstaltungen und Dokumentationen viel Geld und binden Kräfte. Aber die Investition lohnt sich: Viele Einzeldebatten können zielgerichteter und schneller geführt werden, Bauprojekte lassen sich der Stadtgesellschaft viel leichter vermitteln, wenn sie als Teil einer erwünschten Gesamtentwicklung wahrgenommen werden. Die europäischen Städte, deren aktuelle Bauten und Konzepte wir bewundern, setzen längst auf Stadtentwicklung als öffentlichen Prozess: Kopenhagen, Oslo, Antwerpen, Zürich oder Wien. Auch in Deutschland sind Hamburg, München, sogar Köln auf diesem Weg schon weiter. Wenn wir es schaffen, aus deren Ansätzen zu lernen und sie weiterzudenken, kann Stuttgart selbst wieder ein bisschen "Avantgarde" werden. Unsere Stadt mit ihrer fantastischen Lage, ihrer Wirtschaftskraft, ihren engagierten Bürgerinnen und Bürgern und ihrer fast einzigartigen Fachkompetenz auf allen Gebieten des Planens und Bauens hätte das längst verdient!
Thomas Herrmann als Gastbeitrag für StZ / StN, Stand 19.01.2019
Tel: 0711 / 487500
thomas.herrmann@akbw.de